Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
entschloss, am Nachmittag wiederzukommen. Er würde die Reste des Wesens begraben. Als er den Entschluss einmal gefasst hatte, knöpfte er die Kapuzenjacke zu, nahm die Waffe auf und trabte los, zurück zur Siedlung.
Er war tief in Gedanken und bemerkte zu spät den Springwolf, der sich in mächtigen Sätzen näherte. Erst als der Schatten des Tieres über das nächstliegende Gestrolch flog, schrak Will hoch; keine Zeit mehr, die Flinte vom Rücken zu bekommen. Der Junge riss die Arme hoch, er wollte sein Gesicht vor den Zähnen des Tieres schützen. Der Springwolf kümmerte sich nicht um ihn – kaum drei Meter entfernt kam er auf den Boden auf, und während das erste Beinpaar den Schwung abfing, spannte sich das dritte zum neuen Sprung, derweil das mittlere mit einer raschen Bewegung die Richtung fixierte. Erst als der Wolf sich über dem nächsten Gestrolch befand, nahm das hintere Augenpaar den Jungen wahr. Will wusste, dass das Tier fähig war, ohne Pause umzukehren, wie ein Gummiball, aber es änderte nur mehrmals die Richtung. Ängstlich. Will sah verblüfft hinterher. Wahrscheinlich hatte nie jemand ausprobiert, ob ein heranjagender Springwolf vorbeisausen wollte oder den Menschen anspringen – so war das Tier zu seinem Ruf als aggressiver Räuber gekommen. Noch so ein Missverständnis, dachte er, und als er wenig später an dem Gestrolch vorbeikam, in dem er vor einigen Stunden die Schreile getötet hatte, empfand er Scham und machte einen Umweg. Er musste an den Streit zwischen seiner Mutter und der Einarmigen Eliza denken, an die ausführliche Behandlung des Themas im Unterricht, und jetzt verstand er, was Eliza ihm hatte mitteilen wollen.
Tief in Gedanken versunken, trabte er nach Hause, wo seine Eltern ihn amüsiert wie immer begrüßten, als käme er von einer gefährlichen Expedition. Diesmal reagierte Will nicht darauf, pellte sich wortlos aus seiner Hülle und registrierte nur, dass die Schule heute ausfallen sollte. Normalerweise hätte er sich darüber geärgert. Er hatte keine Zeit dazu, er grübelte nach. Carl senior, sein Vater, traf ihn gegen Mittag in der Schleusenkammer, wo Will dabei war, das Magazin der Flinte zu demontieren. Die Minibatterie war ausgebaut, säuberlich aufgereiht standen die Teile des Lasers, und Will sortierte die übriggebliebenen Geschosse. »Große Überholung?«, fragte Carl senior.
»Hm«, machte Will und sah auf: »Sag mal, hättest du was dagegen, wenn ich die Flinte weggebe?«
»Wenn du weißt, dass sie in guten Händen ist ... warum solltest du sie nicht einem deiner Freunde leihen. Hin und wieder.«
»Nein – ich meinte weggeben. Für immer. Verschenken oder so.«
Carl senior machte große Augen. Er wusste noch sehr gut, wie sich der Junge im letzten Jahr über das gute Stück gefreut hatte. »Ja, willst du das denn?«
Will blickte wieder auf die zerlegte Waffe, dann auf seinen Vater. »Ich glaube, ja«, sagte er.
12. Fünf Sekunden Regenbogen
Mechin stand auf und fing an, seine Instrumente zusammenzupacken. Anna Calandra lag still da und betrachtete seine Hände. Der Arzt bewegte sich immer langsamer, als wolle er den Moment hinauszögern, in dem er der Frau sagen musste, was mit ihr geschah. Anna wusste, dass sie krank war, obwohl sie sich nicht so fühlte. Ihre Haut hatte sich verändert – all diese Bläschen, Rötungen, nässenden Stellen, nie gesehenen Flechten ... »Nun?«, fragte sie.
»Im Grunde genommen«, sagte Mechin, »ist es ganz einfach. Deine Haut hält dieses Klima nicht aus. Diese ständige Feuchtigkeit, der ewige Regen ...«
»Ich darf also nicht mehr hinausgehen?«
In ihrer Stimme spürte der Arzt die Hoffnung, dass es damit getan, dass sie damit gesund zu machen sei. Er schüttelte den Kopf. »Es ist die Luftfeuchtigkeit und der Mangel an bestimmter Strahlung, Sonnenlicht sowieso, vor allem jedoch weichem Ultraviolettlicht. Du müsstest dich in ein Solarium legen, wenigstens eine halbe Stunde täglich.«
Sie sah ihn aus großen Augen an, und er hob die Achseln, als wolle er sich für diesen sinnlosen Satz entschuldigen. Beide wussten, dass die Überlebenden der VILM VAN DER OOSTERBRIJK sich kein Solarium leisten konnten. Sie hatten keins, basta. Und selbst wenn man eines aus den Trümmern des Schiffes bergen könnte, wäre es nach dem Absturz und nach all der Zeit nur Schrott. Genauso gut hätte Mechin seiner Patientin empfehlen können, sich mit dem Genuss von mehreren Schalen Äthyltee täglich, direkt und frisch von
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