Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
Gleich null, um genau zu sein.
Anna schlüpfte in den Overall und schlang das Kopftuch um, damit man nicht sah, wie sich vom Nacken aus eine schuppige Flechte in die schwarzen Haare fraß. Vorm Spiegel drapierte sie das Tuch, ließ das rotfleckige Gesicht in den Schatten tauchen. Sie wollte einen halbwegs erträglichen Anblick bieten. Was soll’s, dachte sie, Francesco sieht mich sowieso kaum an. Und Adrian – der traut sich nicht. Bald war es so weit, dass sie selbst sich nicht mehr im Spiegel betrachten mochte.
Die beiden Männer saßen, wie meist, in dem langgestreckten Raum unter der schräg in den Boden gerammten Panzerplatte. Man hatte das riesige Trümmerstück gelassen, wie es war. Eine Masse von mehreren hundert Tonnen konnte keiner von der Stelle bewegen. Man hatte es in einen »natürlichen« Schlupfwinkel umgebaut. Anna und ihr Mann Francesco wohnten hier, und da Platz war, wurde ihnen Adrian Harenbergh zugewiesen, als Gast. Noch war es nicht möglich, jedem Überlebenden eine eigene Unterkunft zu überlassen. Vom Arzt abgesehen, der hatte oben in einer Kabine des vielfach geborstenen Schiffsrumpfes eine winzige Wohnung für sich allein. Der einzige Arzt musste gehegt und gepflegt werden, er war zu wertvoll.
Die beiden Männer sahen Anna nicht an. Francesco Calandra, milchkaffeefarbig, schwarzäugig und schwarzhaarig wie seine Frau, bastelte wie immer an seiner Anlage herum. Francesco war Mechaniker und Pilot gewesen, für die verschiedensten Arten planetengebundener Fahrzeuge. Vom Geländewagen bis zum Landegleiter hatte er solche Geräte gesteuert und repariert, das war seine Welt. Das hatte er gelernt daheim auf Penta V, und als er mit seiner jungen Frau ins Ungewisse einer Siedlerwelt aufbrach, war sein Kopf angefüllt mit allem denkbaren Wissen, das man auf einem menschenleeren Planeten dringend brauchte. Seine Hände brauchten Fahrzeuge zum Zusammenbauen, Verändern und Herumschrauben. Doch bisher war den Schiffbrüchigen nichts untergekommen, das die Finger Francesco Calandras hätte beschäftigen können. Nun baute er sich seine Welt, da er nichts Besseres zu tun hatte. Aus der Trümmerwüste des abgestürzten Weltenkreuzers zusammengetragene Stücke waren es, die er zusammenbaute, umbaute, zusammenschaltete, vernetzte, reparierte. Er selbst sagte, das hätte seinen Sinn. Wenn morgen ein Basis-Chassis auftaucht, sagte er wieder und wieder, dann kann ich in zwei oder drei Tagen ein komplettes Fahrzeug daraus machen. Was ihr immer wollt, ich baue es euch – Hubschrauber, Gleiter, Auto, Stelzkabine, Geländekugler, und so weiter. Und dabei, dachte Anna belustigt, spielte er doch nur. Genauso, wie seit Generationen die seltsamen Männer dieser seltsamen Spezies Homo sapiens ihr aktuelles Lieblingsspielzeug immer zu einer angeblich ernsthaften Beschäftigung hochstilisierten, um wirklich Spaß daran haben zu können. Annas Beruf war auf Vilm noch sinnloser als Francescos – wo es keine Fahrzeugparks gab, konnte sie nichts koordinieren, nichts organisieren und gar nichts abrechnen. Und vor allem spielte Geld überhaupt keine Rolle. Das hätte Anna Calandra genauso stören müssen, wie Francesco das Fehlen seiner Wagen störte. Schließlich war sie unglaublich gut darin, einen Fuhrpark so in Betrieb zu halten, dass er Monat für Monat Gewinn abwarf wie ein kleines Perpetuum mobile. Aber es war ihr egal. Es war schließlich nur ein Job.
Adrian war nicht so oft da wie Francesco. Er war groß, hager, blass und hatte fusselige blonde Haare. Er stammte nicht von Penta V, sondern hatte den größten Teil seines Lebens auf Atibon Legba verbracht, und er sprach wenig von sich. Gerade, dass er verraten hatte, er sei auf gewisse, für Laien schwer zugängliche Gebiete im Elektronikbereich spezialisiert und bereits ein ganzes Stück jenseits der fünfzig. Anna wusste nicht einmal, wo und woran er gearbeitet hatte, als der Schrotthaufen da draußen noch ein Weltenkreuzer gewesen war. Und was Herr Harenbergh mit den anderen täglich trieb, wurde auch nicht hinausposaunt. Adrian hockte auf einer Plane und bastelte, nichts Elektronisches.
»Was hat der Arzt gesagt?«, erkundigte sich Francesco. Er sah seine Frau nicht an. Das hatte er sich abgewöhnt. Wahrscheinlich erinnerte er sich daran, wie sie ausgesehen hatte, als die Welt noch nicht zerbrochen war.
»Ich soll mich in ein Solarium legen«, sagte sie und sah, wie die beiden Männer zusammenzuckten, »und ich soll mich braunbrennen lassen, das holt all
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