Violas bewegtes Leben
Wetter meilenweit joggen. Außerdem riechen sie nach Sportsalbe und reden ununterbrochen.
Sie tragen alle möglichen Taschen herein, beladen mit Zeugs, das verdächtig nach Sportausrüstung aussieht. Ich erkenne einen Tennisschläger, verschiedene Golfschläger und etwas, das wie ein Feldhockeyschläger mit einem Socken über dem Schaft aussieht. Na toll. Eine Sportskanone.
Inmitten des Geplappers, während die Erwachsenen die Taschen in den Schrank packen, zeigen Marisol und ich Romy das Stockbett. Sie schnappt sich gleich das obere Bett. Echte Sportler brauchen offenbar reichlich Sauerstoff, und im oberen Bett weht die dazu nötige Brise vom Oberlicht zu ihr herüber.
Romys Mütter, beide mit dem gleichen Kurzhaarschnitt, machen ihr Bett. Sie plaudern und lachen dabei, als würden sie hier einziehen. Und da heißt es immer, dass geschiedene PaareProbleme haben und Patchwork-Familien sich nicht richtig zusammenfügen. Diese Leute wirken echt glücklich. Marisol betrachtet sie etwas erstaunt. Sie hat nur ihre richtigen Eltern, so wie ich auch. Verglichen mit diesem Riesen-Clan wirken unsere Familien geradezu mickrig.
Romys Stockbett ist schnell bezogen, mit einem Deckbett, das schrill bedruckt ist mit riesigen Gänseblümchen in Gelb und Weiß auf einem schwarzen Hintergrund. Die Väter hängen über dem oberen Stockbett noch ein Poster auf, mit einer Blechdose voller Gänseblümchen. (Egal, wo man in diesem Zimmer schläft, überall schaut man auf Gänseblümchen. Na großartig.) Am Kopfende lehnt ein Dekokissen, geformt wie ein – wer hätte das gedacht – genau, ein Gänseblümchen (!). Alles hübsch Ton in Ton. Offenbar hat Romy sich schon wochenlang auf ihren Umzug ins Internat vorbereitet. Ich habe dagegen so getan, als wär nichts, bis wir gestern ins Auto stiegen und hierherfuhren.
Romy hat so eine bestimmerische Art, die ich ziemlich anstrengend finde. Jetzt schon. Sie hat ein rundes Gesicht und ein energisches Kinn, wie meine Mutter sagen würde. Sie führt ihre Eltern in unserem Zimmer herum, als wäre es eine Manege, als wären sie Zirkuspferde und sie die Dompteurin. Sie befiehlt, was wo hinkommt und wie sie es hängen, zusammenlegen oder verstauen sollen.
Es klopft an der Tür, obwohl sie durch eine Schuhschachtel offen gehalten wird.
»Hallo, ich bin Suzanne.« Suzanne Santry, die Nummer vier in unserem Zimmer, kommt durch die Tür. Sie sieht sich um, streicht ihr glattes champagnerblondes Haar zurück und bindet es mit einem dünnen schwarzen Satinband zusammen. IhreAugen sind so dunkel wie das Band. Sie sieht aus wie einer Los- Angeles-Postkarte entsprungen, dabei stammt sie aus Chicago. Kaum zu glauben, dass sie erst vierzehn ist; sie könnte ohne Weiteres als Siebzehnjährige durchgehen.
Suzanne ist unglaublich hübsch, und einen Moment lang stelle ich mir vor, sie wäre sogar hübsch genug für Tag Nachmanoff. Sie trägt weiße Shorts und ein langes, weites Shirt, auf dem MARQUETTE steht. An den Füßen hat sie sehr coole silberne Glitzerflipflops. Meine Sonnenbräune ist schon am Verschwinden, während ihre Haut immer noch schön dunkel ist. Bestimmt benutzt sie regelmäßig Feuchtigkeitscreme.
»Macht es dir was aus, im unteren Stockbett zu schlafen?«, frage ich, voller Schuldgefühle, weil ich mir Bett und Schreibtisch einfach ausgesucht habe, ohne auf meine Mitbewohnerinnen zu warten.
»Nein, gar nicht.« Suzanne lächelt. »Das ist meine Mutter, Kate«, sagt sie.
Suzannes Mutter ist groß und dünn. Sie trägt einen schlichten Pferdeschwanz und Kleider, denen man ansieht, dass sie einen Bürojob hat – marineblauer Blazer, eine Wollhose mit einem dünnen schwarzen Ledergürtel und eine Seidenbluse. Um ihren Hals schlingen sich reihenweise Perlenketten, als hätte sie irgendwo tief in eine Schatztruhe gegriffen. Mrs. Santry begrüßt Romys Eltern (eine echte Leistung), dann kommt sie zu Marisol und mir.
»Wo ist dein Vater?«, fragt Marisol. »Parkt er das Auto?«
»Nein, er ist zu Hause. Meine Brüder fahren morgen zur Marquette Universität«, antwortet Suzanne. Das erklärt also das Shirt.
»Ich bin alleine unterwegs«, grinst Kate und schiebt sich ihreLesebrille wie ein Diadem auf den Kopf. »Und das finde ich klasse.«
Suzanne hat natürlich die schönste Bettwäsche: eine schlichte Tagesdecke aus dunkelblauem und weißem Drillich, mit passender weißer Bettwäsche. Sie stellt ein Schwarz-Weiß-Foto von ihrer Familie in einem Silberrahmen auf ihren Schreibtisch. Sie hat
Weitere Kostenlose Bücher