Violett ist nicht das Ende
gläsernen Regal der Dollhouse-Bar fixierte. Dann, irgendwann, tastete Ewas Linke in Jules Richtung. Halleluja. Sofort umfasste Jule sie fest mit beiden Händen, drückte sie und hauchte erleichtert einen Kuss darauf. Ewas Mundwinkel zuckten. Ein scheues Lächeln, ehe sie Jule mit gequältem Hundeblick ansah.
»Süße …« Jule strich ihr liebevoll durch die Fransen. »So schlimm?«
»Du solltest das alles nie erfahren.«
»Aber warum denn nicht?«
»Ich habe damals einen Fehler gemacht, einen bescheuerten Fehler. Ich war so verflucht naiv und …«
»Und?«, unterbrach Jule. »Es ging bei der Geschichte um Musik. Dafür schlägt dein Herz, Ewa. Du hast etwas unterschrieben, ohne es zu lesen. Das war … ein Fehler, ein verhängnisvoller Fehler. Aber der kann jedem passieren. Wenn etwas den Bauch oder das Herz trifft, hat das Hirn Sendepause. Es ist bescheuert, aber es ist menschlich und somit kein Grund, um sich vor Scham ein Erdloch zu graben.«
Ewa schluckte. »Du meinst … das ernst?«
»Sicher. Trotzdem bin ich sprachlos. Wie du es geschafft hast, dich da wieder rauszuziehen.«
»Alicja hat …«
»Ich weiß.» Jule nickte. »Deine Freunde sind eine Wucht, hab’s gecheckt. Aber letztendlich stotterst du das ja alleine ab. Wie viel ist es denn noch?«
»3.700 Euro, in etwa.«
Konkrete Fakten. Vierstellig. Jule plumpste ein Stein von Herzen und gleichzeitig zog sich alles in ihr zusammen bei der Vorstellung, wie viel Ewa demnach von der ursprünglichen Summe schon abgetragen haben musste. Der Restbetrag klang überschaubar und war doch ein ziemliches Brett. Mal ehrlich. Wie viel konnte man als einzelne Person jeden Monat beiseite packen von seinem Verdienst? Es gab schließlich noch genug andere Ausgaben.
»Habt ihr vereinbart, bis wann du es zurückzahlst?«
»Nein. Der Restbetrag geht an Jakub und der macht keinen Stress. Ihm fehlt das Geld nicht. Er hat einen Hammer-Job, aber ich …« Ewa schien nach Worten zu suchen. »Es ist ein mieses Gefühl, verstehst du? Wenn du jemandem etwas schuldig bist. Irgendwie denkst du ständig, du müsstest Sorry sagen oder Danke und kriechen, obwohl es niemand verlangt, aber … Ich will es endlich abschließen. Noch ein Jahr, maximal, vielleicht ein halbes, wenn ich weiterhin alles weglasse und …«
»Was heißt denn alles?«
Ewa wackelte kurz mit ihren ausgetretenen Chucks. »Neue Klamotten, zum Beispiel? Ich überweise Jakub, was bei mir am Monatsende noch übrig ist. Mal mehr, mal weniger. Ist für ihn okay. Also jonglier ich, damit so viel wie möglich …«
»Du hättest die Sache tatsächlich für dich behalten und mir nichts erzählt, richtig?«
»Ja.«
»Dachtest du, ich würde es nicht verstehen?«
»Ich bin eben nicht stolz darauf.«
»Aber das alles gehört zu dir, zu deinem Leben.«
»Trotzdem möchte ich nicht permanent daran denken, Jule. Ich rechne ohnehin andauernd und dazwischen will ich mir auch mal was gönnen. Autoscooter, Eismohr, so was eben. Ich will leben. Vor allem jetzt. Mit dir.«
Jule scheute die nächste Frage, die ihr keine Ruhe ließ. »Hast du Gnoj-äh-Gnom-äh, den Musiker da … sehr geliebt?«
Ewa sah auf. »Ehrliche Antwort?«
»Natürlich.«
»Ich weiß es nicht mal.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich glaub nicht. Es war einfach aufregend mit ihm. Wir sind da rumgereist mit seiner Band, haben gejamt, jeden Augenblick genossen, egal, was kam. Und natürlich hat es gekribbelt und es war schön, vor allem weil er … na ja … Er hat mir das Gefühl gegeben … etwas Besonderes zu sein.«
»Das bist du ja auch«, entfuhr es Jule laut. »Shit, hast du je daran gezweifelt?«
»Tut das nicht jeder mal? Es gibt eben Tage und Phasen, da fühlt man sich wie eine komplette Fehlkonstruktion. Und als er dann mit seinen Songs ankam, das war so … so … Bingo, mein Ding, wie ein Geschenk und …«
»Würdest du bei mir einziehen?« Schweitzer, bist du irre?
Auch Ewa wirkte überrascht. »Wie bitte?«
»Willst du, Ewa?«
»Du-du meinst …«
»Keine Tanja, keine WG mehr. Du kommst zu mir. Platz genug hab ich, weißt du ja. Schlafzimmer, Wohnzimmer und Musikzimmer. Oder auch: Wohnzimmer, dein Zimmer, mein Zimmer. Dann kann sich jeder zurückziehen im Notfall. Mein Klavier muss nur irgendwohin, aber ansonsten hab ich nicht viel. Das könnte man alles ohne Probleme zusammenrücken für deine Sachen.«
Ewas Miene blieb skeptisch. »Bietest du das jetzt nur wegen meinen Finanzen an?«
»Blödsinn.« Jule winkte ab.
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