VIRALS - Nur Die Tote Kennt Die Wahrheit
wieder in die Knie. » Geschossen? Im Ernst?«
» Ja. Also lass uns auf demselben Weg abhauen, den wir gekommen sind.«
» Jemand ist an der Hintertür!«, zischte Shelton, der hinter mir stand. » Wir sitzen in der Falle.«
Aus der Küche hörte man zersplitterndes Glas.
Mein Herz hämmerte. » Gibt’s noch einen anderen Ausgang?«
» Im Keller.« Chance klemmte sich das Kreuz unter seinen Gürtel. » Kommt mit!«
Wir hasteten durch den Flur und sprangen in höchstem Tempo eine enge Kellertreppe hinunter.
» Hier lang!« Chance schnappte sich eine Taschenlampe von einem Regal und eilte auf eine hölzerne Flügeltür am Ende des Gangs zu.
» Ein Tunnel.« Chance zog eine der Türen auf. » Diese Hütte gehörte früher mal zur Underground Railroad, die geflohenen Sklaven halfen.«
» Wo führt der Tunnel hin?«, fragte Shelton, der von Tunneln so langsam die Nase voll hatte.
» Zum Bootshaus. Fünfzehn Meter.«
Jemand war oben an der Treppe zu hören.
» Schnell!«, flüsterte ich.
Wir schlüpften durch die Tür, die Chance hinter uns zuzog. Wie Ratten trippelten wir durch den unterirdischen Gang und erreichten sofort dessen Ausgang.
Chance drückte mit den Händen eine Falltür auf, die sich über unseren Köpfen befand. Scharniere quietschten. Der Holzdeckel schwang auf und krachte auf den Boden.
Chance formte seine Hände zu einer Räuberleiter und hievte mich durch die Öffnung.
Im Bootshaus war alles still.
Ich kniete mich hin, um Shelton und Hi hinaufzuziehen. Als Nächster kam Ben. Er streckte die Hand nach unten und half Chance zu uns an die Oberfläche.
Wir sprinteten den Steg entlang und sprangen an Bord der Sewee. Ben ließ in Windeseile den Motor an und gab Gas.
Hinter uns trampelten Schuhe über die Planken.
» Zu spät«, stieß ich erleichtert aus.
Die Sewee jagte bereits davon.
KAPITEL 50
Essenspause.
Chance war aufgewühlt und voller Fragen, doch niemand von uns war nach Reden zumute.
Für die Virals war es nichts Besonderes mehr, von Gangstern verfolgt zu werden.
Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass die Luft rein war, hatte ich ihn in unser Haus geschmuggelt und überbackene Makkaroni in die Mikrowelle geschoben.
» Glaub ja nicht, dass ich für dich koche. Ist rein zufällig eine Familienpackung.«
» Wenn du Hausarrest hast, wo ist dann dein Vater?« Chance ließ eine 25-Cent-Münze auf der Arbeitsplatte rotieren. » Ist ja nicht gerade ein Hochsicherheitsgefängnis hier.«
» Der ist mit Whitney im Kino«, antwortete ich ungehalten. » Er hat mir gerade eine Erinnerungs- SMS geschrieben, dass ich Der gefährlichste Job Alaskas aufnehmen soll. Manchmal bin ich wirklich beeindruckt von seiner Ahnungslosigkeit.«
» Mein Vater verbringt sein Leben im Knast. Ich bin eindeutig schlimmer dran als du.«
Ich fand das nicht besonders komisch.
Wir aßen schweigend unsere Pasta.
***
» Und, was habt ihr rausgefunden?«, fragte ich.
Videokonferenz.
» So einiges.« Shelton blätterte in seinem Notizblock. » Bull Island ist der perfekte Ort, um etwas zu verstecken, was nicht gefunden werden soll.«
» Oneiscau«, verbesserte Ben. » Das ist der eigentliche Name.«
» Ich halte mich lieber an Wörter, die ich auch aussprechen kann«, erwiderte Shelton. » Du kannst ja mal mit Google Maps darüber diskutieren.«
» Shelton hat recht.« Hi mampfte eine Baguettepizza. Kein schöner Anblick. » Historisch betrachtet ist nach den Sewee kaum ein Mensch auf der Insel gewesen.«
» Bei den Piraten war die Insel so beliebt, dass die Kolonialmacht dort einen Wachturm gebaut hat«, fügte Shelton hinzu.
» Wie groß ist die Insel?«, fragte Chance.
» Etwa zwanzig Quadratkilometer.« Hi las von seinem Monitor ab: » Bull ist die größte der vorgelagerten Inseln innerhalb des Cape Romain Naturschutzgebiets mit seinen Wäldern, Marschen, Dünen und Stränden.«
» Wer hat dort gelebt?«, fragte ich.
» Die Sewee«, meldete sich Ben zu Wort, » und zwar bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts. Die Briten betraten die Insel erstmals 1670, während sie sich zugleich in Charles Town niederließen. Einer von ihnen war Stephen Bull, der es irgendwie geschafft hat, dass die Insel nach ihm benannt wurde. Vollidiot.«
» Und nach den Sewee hat sich dort niemand mehr angesiedelt?«
» Nur sehr wenige«, antwortete Shelton. » Im Jahr 1925 hat ein Senator namens Dominick die Insel erworben und dort ein Herrenhaus gebaut. 1932 wurde die Insel zum Naturschutzgebiet erklärt, worauf
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