VIRALS - Nur Die Tote Kennt Die Wahrheit
Dominick seinen Besitz an eine Artenschutzorganisation veräußerte. Das Herrenhaus diente bis in die 60er-Jahre hinein als Gasthaus, bis der Schuppen endgültig dichtgemacht wurde.«
Chance lehnte sich meiner Webcam entgegen. » Du meinst also, dass Bull Island weitgehend unerforscht war, als Anne Bonny 1720 geflohen ist?«
» Ja«, antwortete Hi. » Bull Island ist eines der unberührtesten Naturschutzgebiete überhaupt. Das ehemalige Herrenhaus wird heute noch von Angestellten der Naturschutzbehörde benutzt, doch ansonsten ist dort nie irgendwas gebaut worden.«
» Was nicht heißt, dass die Insel nicht besucht wird«, fuhr Shelton fort. » Inzwischen legt dort täglich eine Fähre an. Man soll dort super Vögel beobachten können, die ganze Insel ist von Trampelpfaden übersät. Doch nach Einbruch der Dunkelheit dürfen sich auf Bull keine Privatpersonen mehr aufhalten.«
» Perfekt«, sagte ich. » Das ist unsere Zeit.«
» Morgen Abend«, erinnerte mich Hi. » Bei Vollmond.«
» Zwanzig Quadratkilometer.« Chance kratzte sich nachdenklich seinen dünnen Bart. » Woher sollen wir wissen, wo wir suchen sollen?«
» Ich hab da schon eine Idee«, sagte Shelton. » Die zweite Zeile von Bonnys Gedicht lautet doch: ›Steh auf dem Aussichtspunkt, halte an deinem Glauben fest und betrachte die See.‹«
» Wir schauen also nach Osten«, sagte ich.
» Denkt an den Wachturm.« Shelton blickte auf seinen Notizblock. » 1707 hat die Generalversammlung von South Carolina beschlossen, auf sechs küstennahen Inseln Wachtürme zu errichten.«
» Auch auf Bull Island«, mutmaßte Hi.
» Genau. Er wurde Martello-Turm genannt und von einem Weißen und einigen Sewee-Indianern besetzt, damit sie nach Piratenschiffen Ausschau halten sollten. Wenn sich eines näherte, wurden drei Kanonenschüsse abgefeuert, ehe man Hals über Kopf die Flucht ergriff.«
» Wahre Helden«, bemerkte Hi. » Was ist mit dem Ding passiert?«
» Das hat die Union während des Bürgerkriegs gesprengt.«
Ich begriff, worauf Shelton hinauswollte. » Du meinst, der Turm ist der Aussichtspunkt aus dem Gedicht von Anne Bonny?«
» Passt doch genau, findest du nicht?«
» Doch«, antwortete ich lächelnd. » Gut gemacht. Jetzt haben wir jedenfalls einen Anhaltspunkt auf der Insel.«
» Irgendeine Idee, was es mit den Knochenfeldern auf sich haben könnte?«, fragte Ben.
» Nee«, musste Hi zugeben.
» Noch nicht«, sagte Shelton.
» Wir arbeiten dran«, fügte ich gähnend hinzu, erschöpft von einem weiteren langen Tag. » Lasst uns morgen weiterreden.«
» Wartet mal!« Chance schaute mich überrascht an. » Wollen wir denn gar nicht darüber reden, was in der Fischerhütte passiert ist?«
» Wozu?«, fragte Ben. » Wir wissen doch nicht, wer uns da überrascht hat.«
» Du bist unser Gast, Kumpel.« Hi wischte ihm ein unsichtbares Staubkorn von der Schulter. » Mach dir nicht zu viele Sorgen.«
» Richtig.« Shelton schlug sich an die Brust. » Wir passen schon auf dich auf.«
» Gute Nacht, ihr Helden.« Ich loggte mich aus.
Chance legte die Füße auf meine Ottomane. » Und was jetzt?«
» Wir halten bis morgen Nacht den Ball flach. Du versteckst dich hier.«
» Und was soll ich die ganze Zeit machen? Hast du eine Spielkonsole oder so was?«
Im Erdgeschoss öffnete sich die Haustür. Schlüssel landeten klirrend auf dem Tisch im Flur.
» Hallo, Tory, ich bin wieder da!« Kits Stimme schallte die Treppe herauf. » Hast du Lust, die Wiederholung von 30 Rock anzugucken?«
» Komme schon!« Ich drehte mich zu Chance um und flüsterte: » Lies doch ein Buch. Im Regal steht Schokolade zum Frühstück. Das wird dir supergut gefallen.«
Als er aufstöhnte, schloss ich die Tür.
KAPITEL 51
Eine Nacht später machten wir uns kurz nach Mitternacht auf den Weg.
Auf Katzensohlen schlichen Chance und ich die Treppe hinunter. Kit war früh zu Bett gegangen und hatte in der Regel einen festen Schlaf.
Dennoch fing mein Herz beim geringsten Knarren des Holzfußbodens an zu rasen.
Im Wohnzimmer kam Coop angetrottet und winselte leise.
» Du bleibst hier, mein Junge.« Ich führte ihn zu seinem Schlafplatz zurück und betete, dass er uns keine Schwierigkeiten bereiten würde. Dann schlüpften Chance und ich aus der Haustür und rannten dem Anleger entgegen.
Ben war schon an Bord der Sewee und überprüfte sorgsam die Ausrüstung, die wir am Nachmittag zusammengestellt hatten. Shelton und Hi ließen nicht lange auf sich warten. Wir legten
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