VIRALS - Nur Die Tote Kennt Die Wahrheit
die Kiste einer genaueren Untersuchung. Ließ meine Hand über jeden Zentimeter ihrer Oberfläche wandern. Konnte immer noch nichts Auffälliges entdecken.
Ich öffnete den Deckel und begann die Holzlatten abzutasten, die den Rahmen zusammenhielten. Hoffte darauf, dass sich schon irgendwann ein Hinweis zeigen würde. Was nicht der Fall war.
Dann machte ich eine Entdeckung.
In einer Ecke der Kiste befand sich ein kleiner Dreckhaufen. Schmutz. Sand. Etwas Trockenes aus der Vegetation. In unserer Enttäuschung hatten wir darauf verzichtet, das Innere näher zu untersuchen.
Ich nahm etwas von der Materie in die hohle Hand. Entdeckte darin drei Kieselsteine. Klein und rund und absolut gleichartig sahen sie wie Fremdkörper aus. Ich nahm eine weitere Handvoll und erblickte merkwürdig aussehende getrocknete Blätter. So etwas hatte ich nie zuvor gesehen.
Ich dachte zurück an den Strand, an dem die Kiste vergraben gewesen war. Er war mit Muschelschalen und toten Ästen übersät gewesen, doch lebendige Pflanzen hatte es dort nirgends gegeben. Und wir hatten die Kiste erst an Bord der Sewee geöffnet.
Meine Erregung erreichte ein neues Level. Die Blätter und Kiesel stammten nicht von unserer eigenen Grabung. Sie mussten schon lange zuvor darin gewesen sein.
Der übrige Dreck sah uninteressant aus.
Ich betrachtete die Blätter und Kiesel, die ich nebeneinandergelegt hatte.
Was hatten die mir zu sagen?
» Drehe ich langsam durch, Coop?«
Der Wolfshund sparte sich die Antwort.
Tief in mir spürte ich, dass die Sache noch nicht erledigt war. Doch würde wohl nur eine Verrückte mit solcher Inbrunst ein paar tote Blätter und alte Kiesel anstarren.
» Dann bin ich eben verrückt«, flüsterte ich.
Ich schnappte mir Cooper und rieb seine Stirn. Er knabberte zum Dank hingebungsvoll an meinem Arm.
» Sag, was du willst, alter Junge, aber wir sind hier noch nicht fertig.«
KAPITEL 60
» Hört mir doch zu!«, rief ich.
Auf mein Drängen hin hatten wir uns in Sheltons Garage versammelt. Die Werkstatt seines Vaters war der beste Ort, um meine Fundstücke zu untersuchen.
Selbst die Alliierten in der Normandie waren nicht auf so entschiedenen Widerstand gestoßen.
» Ich will nicht«, plärrte Shelton. » Du fängst wieder an zu reden, und irgendwann nicken alle, und im nächsten Moment seile ich mich vom Eiffelturm ab und werde von Vampiren verfolgt. Ausgeschlossen!«
Ben schlug ihm sanft auf den Hinterkopf.
» In deinem wirren Gerede steckt ein Fünkchen Wahrheit.« Hi verschränkte die Arme. » Wir haben die Kiste gefunden. Die Sache ist vorbei, Tory.«
» Aber denkt doch mal nach«, erwiderte ich. » Warum sollte man eine leere Kiste vergraben, wenn man nicht jemand einen Hinweis darauf geben will, wo sich der eigentliche Schatz befindet?«
» Botschaft angekommen und abgelehnt«, entgegnete Ben.
» Kann schon sein, aber der Deckel war unversehrt. Wer auch immer den Inhalt entfernt hat, muss also einen Schlüssel gehabt haben. Ich vermute, dass Anne Bonny ihren Schatz woanders versteckt hat, aber eine Nachricht hinterlassen wollte, wo er zu finden ist.«
» Und an wen?«, fragte Shelton mit skeptischer Stimme.
» An Mary Read.«
Hi warf die Hände in die Luft. » Die war doch schon TOT !«, rief er.
» Das wusste Anne ABER NICHT !«, rief ich zurück.
» Das reicht!« Ben warf uns abwechselnd strenge Blicke zu. » Wir haben es Tory zu verdanken, dass wir die Kiste überhaupt gefunden haben. Lasst uns zuhören, was sie uns zu sagen hat. Das sind wir ihr schuldig.«
Shelton verdrehte die Augen und verzog den Mund, sagte jedoch nichts.
Bens Zeigefinger schoss mir entgegen. » Aber keine leeren Versprechungen, Brennan! Ich will keinen fixen Ideen mehr hinterherjagen, die uns am Ende fast das Leben kosten.«
» So geht das immer los«, murmelte Shelton. » Wir sind dem Untergang geweiht.«
» Vielen Dank«, sagte ich förmlich. Innerlich grinste ich wie ein Honigkuchenpferd. Shelton hatte natürlich recht. Wenn ich sie erst mal dazu gebracht hatte, mir zuzuhören, dann siegte stets ihre Neugier über ihre Bedenken. Das war die Seite, die ich an ihnen am allermeisten liebte.
» Hört zu.« Ich ließ meine Fingerknöchel knacken. » Es gibt zwei Dinge, die wir herausfinden müssen…«
***
Eine Stunde später trafen wir uns erneut.
» Fangen wir mit der Truhe an«, sagte ich. » Ben und ich haben jede einzelne Holzlatte, jeden Beschlag und jeden Nagel untersucht. Es befindet sich weder etwas an der
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