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VIRALS - Nur Die Tote Kennt Die Wahrheit

VIRALS - Nur Die Tote Kennt Die Wahrheit

Titel: VIRALS - Nur Die Tote Kennt Die Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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Guten Morgen.«
    Immer noch wie betäubt, sagte ich nichts.
    » Bitte?« Chance legte den Kopf auf die Seite und tat so, als lauschte er meinen Worten. » Mit geht’s gut. Danke der Nachfrage.«
    » Ich bin froh, dass es dir gut geht. Wie bist du nach Hause gekommen?«
    » Nach Hause?« Chance lächelte verloren. » Eine sonderbare Bezeichnung. Ich hab ein paar Stunden in der Blockhütte meines Vaters geschlafen, falls du das meinst.«
    » Wie bist du von Bull Island weggekommen?«
    » Mit der Morgenfähre. Um neun Uhr.« Chance tätschelte Coops Flanke, hielt dann inne. » Ich hab dem Bootsführer einen ziemlichen Schrecken eingejagt, als ich plötzlich aus dem Gebüsch gekommen bin und fragte, ob er mich übersetzt. Ich sah ja auch schon mal besser aus.«
    Damit hatte er definitiv recht. Chance’ Gesicht war fleckig und bleich. Violette Ringe unter den Augen. Das Zucken einer Wange verriet, dass er darum kämpfte, die Beherrschung zu wahren.
    Chance hatte die Kleider gewechselt, trug jetzt ein altes Sweatshirt und eine Cargohose, doch die Anstrengungen der Nacht standen ihm immer noch ins Gesicht geschrieben.
    Was mich jedoch am meisten erschreckte, war seine Stimme. Sie klang ungewöhnlich hoch und ein wenig verzerrt. Außerdem war seine Rede immer wieder von Pausen unterbrochen, wie beim Polizeifunk eines Streifenwagens.
    Ich versuchte, meinem Gesicht einen neutralen Ausdruck und meiner Stimme einen normalen Klang zu geben. » Ich bin froh, dass es dir gut geht«, wiederholte ich.
    » Wirklich?«
    » Natürlich. Wir haben uns alle Sorgen um dich gemacht.«
    » Macht euch darüber keine Gedanken.« Er wechselte das Thema. » Wo ist der Piratenschatz? Was war in der Kiste?«
    Ich brachte es kaum übers Herz.
    » Nichts, Chance. Die Kiste war leer.«
    Das Zucken der Wange wurde stärker.
    » Du lügst!« Es war nur ein Flüstern.
    » Nein, ich lüge nicht.« Ich zeigte auf Sheltons Garage. » Die Kiste ist da drin. Du kannst sie dir gerne ansehen.«
    Chance’ Blick ging ins Leere. Seine Augen sahen merkwürdig aus, als kämpfte er mit inneren Dämonen.
    » Das ist… enttäuschend.«
    » Ja, verdammt enttäuschend«, bestätigte ich. » Wir sind leer ausgegangen.«
    Chance hob langsam die Hände und rieb sich die Wangen. Seine Brauen zogen sich zusammen.
    » Ich stand in letzter Zeit unter großem Druck«, sagte er. » Mein Zusammenbruch. Die öffentliche Demütigung meines Vaters. Der Prozess. Während man mich eingesperrt hielt, wurde unser Familienname in den Dreck gezogen.«
    Ich erwiderte nichts. Hatte ich doch eine Schlüsselrolle bei all diesen Ereignissen gespielt, woran ich Chance jetzt nicht erinnern wollte.
    » Ich mache mir Sorgen, dass es mir… vielleicht… noch nicht wieder so gut geht. Dass ich mich noch nicht vollständig erholt habe.«
    » Wie meinst du das?« Als wüsste ich es nicht.
    » Vielleicht sehe ich ja Dinge, die es gar nicht gibt. Letzte Nacht zum Beispiel.«
    » Es war sehr spät«, entgegnete ich. » Und dunkel. Wir waren erschöpft und alles ging so schnell.«
    » Nein!« Er ballte die Fäuste. » Es war mehr als das!«
    Chance warf mir einen bohrenden Blick zu.
    » Ich habe es gesehen, Tory. Eure Augen haben sich verändert. Die hatten so einen goldenen Glanz. Wie bei den Wölfen, die plötzlich um uns herum waren.«
    Ich suchte nach einer Entgegnung, fand keine.
    » Das war auch nicht das erste Mal. Bei uns zu Hause im Keller, in der Nacht, als Hannah…«
    Chance zuckte zusammen, als hätte er sich verbrannt. Es dauerte eine Weile, bis er weitersprach.
    » In dieser Nacht war ich am Boden zerstört. Überall war Blut und der Schmerz war unbeschreiblich. Aber ich habe euch beobachtet. Ihr habt euch einfach zu schnell bewegt.«
    » Du warst verletzt«, entgegnete ich. » Verwirrt. Und wir haben um unser Leben gekämpft.«
    » Nein!« Er schüttelte den Kopf. » Ich weiß, was ich gesehen habe!«
    Chance atmete stoßweise. Schweißtropfen glitzerten in seinen Brauen.
    » Zuerst dachte ich, ich hätte mir alles nur eingebildet. Schließlich hatte man auf mich geschossen. Mich betrogen. Auch heute ist die Erinnerung daran schier unerträglich.«
    Chance schlug mit der Faust in seine Handfläche. » Aber letzte Nacht war es wieder genauso. Eure Augen hatten diesen goldenen Glanz. Ihr habt euch unfassbar schnell bewegt. Es war unglaublich.«
    Was sollte ich sagen? Chance wusste Bescheid. Ich konnte mich nicht mehr herausreden.
    Dann baute er mir eine Brücke.
    » Bin ich verrückt?«

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