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Virga 01 - Planet der Sonnen

Titel: Virga 01 - Planet der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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und riss die Augen auf. Lyle Carrier schwebte in den Schatten.
    »Was ist?«
    »Sie glauben, Sie hätten sich ganz oben Freunde gemacht«, sagte Carrier und nickte zu Travis’ sich entfernenden Füßen hin. »Aber die vertrauen Ihnen nicht wirklich. Sie plaudern nur deshalb so freundschaftlich mit Ihnen, weil sie wissen, dass ich ein Auge auf Sie habe.«
    Hayden sah ihn böse an. »Wie soll ich das verstehen?«
    »Wir haben noch viele Fragen an Sie, mein Junge«, sagte Carrier und schürzte in mittlerweile wohlbekannter Manier die Lippen. »Und was Sie uns an Antworten gegeben haben, stimmt einfach nicht zusammen. Es ist nämlich so«, er beugte sich näher zu Hayden. »Ich weiß, dass Sie etwas im Schilde führen, und Venera weiß, dass ich es weiß. Sie verlässt sich darauf, dass ich herausfinde, was es ist. Sie werden von ihr und den anderen an der Spitze im Moment nur deshalb so verhätschelt, weil alle wissen, dass Sie nichts anstellen können.«
    Hayden wich dem Blick nicht aus. Er hatte lange gebraucht, um sich von Carrier ein Bild zu machen. Leider hatte er den Mann nicht von Anfang an durchschaut. Carrier war ein eiskalter Killer; aber Hayden hatte keine Angst vor ihm.

    Er legte den Kopf schief: »Heißt das, Sie sind die ganze Zeit um mich herumgeschlichen, haben mich beobachtet und Hypothesen formuliert. Wieso sind Sie nicht einmal auf die Idee gekommen, einfach zu fragen ?«
    Carriers linkes Augenlid zuckte leicht. Dieses kleine Zeichen von Verwirrung genügte, um Hayden ein Lächeln zu entlocken.
    »Also, was führen Sie im Schilde?«, fragte Carrier.
    »Das geht Sie nichts an«, fauchte Hayden und wandte sich wieder dem Bullauge zu.
    »Das ist also Ihr Spiel«, murmelte Carrier. »Na schön. Bis später, Griffin.«
    Hayden hörte nicht, wie er sich entfernte, aber er sah sich auch nicht um. Zum einen war die Aussicht wunderschön: Candesces Licht wurde nicht schwächer, sondern womöglich noch heller, und das war auch kein Wunder, schließlich kamen die Krähe und ihre Schwesterschiffe der Ersten Sonne immer näher.
    Außerdem sollte Carrier in diesem Moment sein Gesicht nicht sehen. Hayden wusste nämlich, dass er nach diesem Gespräch ein Todeskandidat war, aber das brauchte der andere nicht zu wissen. Einen Mann wie Lyle Carrier beleidigte man nicht ungestraft.
    Und wenn schon. Gerade jetzt brauchte er einen Feind, den er leidenschaftlich hassen konnte. Seine Gefühle für Admiral Fanning waren zu wirr, um dieses Bedürfnis zu befriedigen. Bei Carrier … lag die Sache anders.
    Hayden beobachtete, wie die Schwesterschiffe der Krähe in respektvollem Abstand an dem gigantischen Rieseninsekt vorbeiflogen. Alle drehten den Bug in
Richtung auf die Erste Sonne, und als die Luft auch weiterhin klar und die beglückende Helligkeit ungedämpft blieb, gaben sie Gas und schossen auf Candesce zu.
     
    Zwei Tage später lag der Raum vor ihnen ständig im Licht. Hinter den ewigen Wolkenbänken des Winters spitzten erst eine, dann zwei und schließlich vier Sonnen hervor. Anfangs waren sie kaum mehr als orangerote Flecken am Himmel, ihr Licht drang nur gestreut und gefiltert durch Hunderte von Kilometern Luft, Wasser und Staub. Doch im Laufe der nächsten Stunden wurden die Umrisse schärfer und aus den Flecken wurden schließlich winzige Punkte aktinischen Lichts, die eingebettet waren in die silbrig-grünen Scheiben und Bögen des kollektiven Widerscheins von Tausenden und Abertausenden einzelner Häuser, Habitate, Wälder, Seen und Farmen.
    Gridde, der greise Kartenmeister, verließ sein mit Samt ausgeschlagenes Kämmerchen, um Prismen ins Licht dieser Sonnen zu halten. Er betrachtete die Miniaturregenbögen, die dabei entstanden, und konsultierte Tabellen in einem riesigen Buch, das er schon so lange auf den Rücken geschnallt trug, dass die Riemen Furchen in die Schultern seiner Jacke gegraben hatten. Dann zeigte er auf eine Sonne nach der anderen und sagte: »Die Nation Tracoune, die Prinzipalität Kester, der Kollektivmarsch des Helden Reeve und … äh … verdammt, wie hieß noch die letzte … ach ja, die Neue Abtrünnigenrepublik Canso.«
    Die Besatzungsmitglieder, die sich zu dieser Prozedur versammelt hatten, nickten mit wissender Miene
und tuschelten miteinander. Nur wenige hatten je von einer dieser Nationen gehört, und niemand kannte sie alle. Sie lagen von Slipstream und seinen Nachbarn aus gesehen am anderen Ende der Welt. Wichtiger noch, es waren Länder, die durch Virgas mittlere Lufträume

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