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Virga 01 - Planet der Sonnen

Titel: Virga 01 - Planet der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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müssen, bevor sie hierherkamen.
    Dennoch … die Verzögerung hatte auch ihr Gutes. Der erste Blick auf Vogelsburg hatte Venera in Ekstase versetzt. Von diesem Ort hatte sie geträumt.
    Sie war überzeugt, dass dies die Stadt der Schwerelosigkeit war, die sie im Schlaf so oft gesehen hatte. Hier gab es Gebäude in allen Größen und Formen, aber nur sehr wenige rotierten, um lokale Schwerkraft zu erzeugen. Alle waren im Zuckerbäckerstil gehalten,
vielfach mit wabenartig durchbrochenen oder mit Fresken geschmückten Wänden und gespickt mit Statuen und Minaretten, die nach allen Richtungen ragten. Sie fühlte sich an die Kieselalgen erinnert, die ihr ältester Bruder ihr einst unter dem Mikroskop gezeigt hatte. Mit Seilen verbunden und durch die Minarette auf Abstand gehalten, schwärmten diese Bauwerke genau wie in ihrem Traum gemächlich durch das niemals erlöschende goldene Licht der fernen Sonne Candesce. Und dazwischen schossen Vogelsburgs Menschen wie Tausende von Vögeln umher.
    Die Menschen selbst fand Venera bedrückend. In Gehellen hatten nur die Reichen und Mächtigen die Möglichkeit, sich regelmäßig in Schwerkraft aufzuhalten. Doch auch sie waren viel größer, als sie es gewöhnt war - zumeist spindeldürr und mit krummen Gliedern. Einige von den Frauen waren allerdings von einer ätherischen Schönheit, die ihre Wirkung auf Veneras Mann sichtlich nicht verfehlte. Die Angehörigen der unteren Schichten waren auf Anhieb zu erkennen: Die Diener in diesem Saal konnten kaum die eigenen Köpfe heben, geschweige denn die Getränke und die Platten mit Appetithäppchen, die sie servierten. Sie überragten ihre Herrschaften wie Riesenspinnen und wirkten unsicher und ständig besorgt.
    Venera hätte verstanden, wenn diese Zwei-Klassen-Gesellschaft das Ergebnis einer gezielten Politik der Unterdrückung der Armen gewesen wäre. Immerhin war die Geschichte voll von Aristokraten, die das Recht auf körperliche Gesundheit und Kraft nur für sich in Anspruch nahmen. Beunruhigend fand sie allerdings die Überlegung, dass die Ungleichheit auch
einfach durch Nachlässigkeit entstanden sein könnte. Denn das hätte bedeutet, dass Candesces Prinzipalitäten beschämend dekadent geworden waren.
    Während Reiss die Getränke durchprobierte, fasste Venera ihren Mann am Arm und brachte ihren Mund nahe an sein Ohr. »Ich finde, das ist eine sehr eigenartige Gesellschaft«, sagte sie.
    »Du warst noch niemals hier«, murmelte Chaison. »Wie willst du es also beurteilen?«
    »Es ist die Mischung, mein Lieber. Mein Vater hat einmal ein ähnliches kleines Bankett für einige Steuereinnehmer der Außenprovinzen gegeben. Er holte sie alle an einem Ort zusammen, verriegelte die Türen und ließ sie von der Galerie herab erschießen.«
    Chaison schaute versonnen ins Leere. »Sieht deinem Vater ähnlich.«
    »Wie auch immer, die Sache ist mir nicht geheuer. Man hat uns von unseren Schiffen getrennt. Alle Offiziere sind hier. An allen Eingängen stehen Wachen.«
    Er warf ihr einen skeptischen Blick zu. »Aber man hat uns die Säbel gelassen.«
    »Als ob die etwas nützen würden. Denk an meine Worte, Chaison. Ich gehe nicht davon aus, dass es ein Blutbad in irgendeiner Form geben wird. Den Leuten hier ist ihre Architektur lieb und teuer, sie würden niemals riskieren, dass sie durch Kugeln beschädigt wird. Aber etwas stimmt hier nicht, das lasse ich mir nicht nehmen.«
    »Nun gut«, sagte Chaison, »dann halte die Augen offen und mach dir Sorgen, so viel du willst. Ich werde mich inzwischen amüsieren. Unsere Gastgeber haben uns bisher in keiner Weise bedroht.«

    »Nur deshalb nicht, weil unsere sechs schwer bewaffneten Kriegsschiffe in ihrem Hafen liegen«, flüsterte sie. In diesem Moment kam Reiss mit einem hohen Glas in der Hand zurück.
    »Sehen Sie nur, wen ich eben entdeckt habe.« Er deutete mit einem Nicken auf einen steif aussehenden älteren Herrn. Er stand ganz allein unter einer der riesigen Glasrosetten, die die beiden Schmalseiten des Ballsaales beherrschten. Durch die bunten Scheiben fielen farbige Lichter auf seine Ausgehuniform, und in diesem Moment war eine Hälfte seines Gesichts grün angestrahlt. »General Harmond ist hier. Ich muss Ihrem Gatten Bescheid sagen …«
    »Das übernehme ich«, sagte Venera und steuerte schnurstracks auf den alten Soldaten zu. Reiss brachte nur ein überraschtes »Oh!« heraus, als Venera an ihm vorbeirauschte. Vor dem General blieb sie stehen und verneigte sich. Er stand sofort

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