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Virga 01 - Planet der Sonnen

Titel: Virga 01 - Planet der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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steuerten, Hunderte von Kilometern über Candesces Prinzipalitäten, aber auch Hunderte von Kilometern unter den Regionen, in denen Aerie und andere bekannte Staaten sich bewegten. Dazwischen lagen Schichten von Winter - dunkle, kalte, böige Luft, die sich schon jahrhundertelang der Gründung von Nationen widersetzte.
    »Gridde sagte mir, das liege an den Zyklonen, den Jetstreams«, berichtete Martor später. »Sie treiben alles zu leicht auseinander. Ich schätze, sonst gäbe es keinen Winter, die Welt wäre von einem Ende bis zum anderen vollgepackt mit Sonnen und Ländern.« Er lächelte sehnsüchtig. »Das muss man sich mal vorstellen.«
    »Hmm.« Hayden polierte zum zehnten Mal sein Renn-Bike, weil er nichts Besseres zu tun hatte. Jetzt sah er Martor missmutig an. »In zivilisierten Lufträumen treibt viel zu viel Müll herum. Man kann mit keinem Bike mehr als hundert Stundenkilometer fliegen, ohne irgendeinen ausrangierten Nachttopf - oder, noch schlimmer, seinen Inhalt - ins Gesicht zu bekommen. Außerdem wartet alle zehn Kilometer die Polizei, um jedem ein Strafmandat zu verpassen, der mal kurz Gas gibt. Sonst könnten ja, was der Himmel verhüten möge, im Haus irgendeines reichen Mannes die Fenster klirren.«
    »So hatte ich das noch gar nicht gesehen«, sagte Martor.

    »Das kommt daher, dass du noch nicht oft genug mit einem Bike geflogen bist. Wenn du eines Tages ein eigenes hast, wirst du die Dichte der zivilisierten Lufträume verfluchen.«
    Im Laufe der nächsten Tage bestätigte sich Haydens düstere Einschätzung: Der Expeditionstrupp kam in der zunehmend dichter bevölkerten Luft kaum voran. Die Besiedelung begann auf der untersten Ebene mit den Kellerspinnen und ihren langen Netzen, in denen sich Erdklumpen und Müll verfingen. Mit der Zeit entstanden auf diese Weise Inseln von Esstischgröße, auf denen unzählige andere Lebewesen hausten. Die Netze blieben in den Propellern der Krähe hängen und mussten mit Besen abgekehrt werden. Vögel, Fische und Insekten, die meisten nur so groß wie ein Daumennagel, manchmal aber auch wie ein ganzes Boot, umschwirrten den dichten Filz. Je heller das Licht der Sonnen wurde, desto mehr schmückten sich die Matten mit Gras und Wildblumen. In der Ferne entdeckte der Ausguck die ersten Bäume und Farmen. Und überall verkehrten jetzt Schiffe.
    Die meisten der hiesigen Sonnen folgten dem Tag-Nacht-Rhythmus von Candesce, sonst wäre es hier überhaupt nicht mehr dunkel geworden. Einige Rebellen hatten aus historischen oder politischen Gründen eigene Zeitskalen. Die Folge war, dass die Nächte hier prächtiger waren, als Hayden es je erlebt hatte. Luft und Wolken färbten sich azurblau mit türkis-, lila- und pfirsichfarbenen Schattierungen, und in diesem Halbdunkel funkelten die Lichter von Tausenden von Häusern und Habitaten. Hayden hörte Aubri etwas über »die Sterne« murmeln, als sie vom Hangar
der Krähe aus die Aussicht betrachtete. Er fragte nicht nach, was sie damit meinte.
    Unter den Männern gab es keine Prügeleien und keinen lauten Streit mehr. Auf allen Schiffen herrschte eine Art Burgfrieden, der umso mehr geschätzt wurde, weil jedermann wusste, dass er nicht von Dauer sein würde. Für einige Tage waren sie alle nur Flieger, die einen fremden, wundersamen Himmel bereisten.
    Die sechs Kreuzer flogen keine dieser Sonnen an; ihr Ziel lag weiter zum Zentrum hin. Sie schlängelten sich an allen Grenzfeuern vorbei und näherten sich der Zivilisation im Umkreis der Ersten Sonne, ohne den internationalen Luftraum zu verlassen. Candesces Prinzipalitäten wurden als riesiger Nebel sichtbar, der sich nach allen Seiten ins Unendliche wölbte - eine verschwommene Blase mit einem Radius von Hunderten von Kilometern, deren Mittelpunkt die Sonne Candesce war.
    Alsbald blieben die von Menschen gewarteten Sonnen der äußeren Nationen hinter ihnen zurück, und Candesces Licht wurde stärker. Dichte Wälder, die sich über Dutzende von Kilometern erstreckten, ragten auf wie gigantische Brokkolirosen. Es gab auch ebenso große Seen, einige davon wurden mit Gerüsten zu Linsen geformt, die Candesces Licht zu habitatgroßen Weißglutzonen für die Industrie oder die Abfallwirtschaft bündelten. Die Luft wurde immer heißer und roch, als wäre sie mit Leben gesättigt.
    Sie waren jetzt im ältesten Teil des bewohnten Virga angelangt. Candesce befand sich seit der Gründung der Welt an dieser Stelle, und einige der Nationen, die jetzt in Sicht kamen, bestanden schon

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