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Virga 01 - Planet der Sonnen

Titel: Virga 01 - Planet der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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›ungebildeter Wilder‹ bin? Wenn ich mich recht erinnere, hatten Sie das Martor vor einigen Tagen vorgehalten.«
    Sie biss sich auf die Unterlippe. »Das ist es nicht … Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll.« Sie sah sich um, entdeckte offenbar etwas und sagte: »Mir scheint, wir müssen in diese Richtung.«
    Hayden hatte den Verdacht, sie wolle ihm schon wieder ausweichen, doch als sie durch den sechseckigen holzvertäfelten Korridor zur Geschichtsabteilung der Bibliothek schwebten, sagte sie: »Ich bin nicht aus freien Stücken nach Virga gekommen. Jedenfalls nicht ganz; es war keine Lüge, als ich sagte, ich hätte die Naturwissenschaften studiert und bewunderte Ihr Volk wegen seines Wissens.«
    Sie erreichten einen großen kreisrunden Raum, der durchaus unter Schwerkraft hätte stehen können - bis auf die Seile, die kreuz und quer zwischen den Wänden
gespannt waren und verschiedenen Lesern als Sitzgelegenheit dienten. Beleuchtet wurde er von hellen Laternen, die auf die endlosen Bücherregale an den Wänden gerichtet waren.
    »Meine Liebe zu alten Künsten wie der industriellen Fertigung brachte mich in Schwierigkeiten«, fuhr Aubri fort. Hayden erschien sie bei dieser Beleuchtung wunderschön, sie schwebte im Schein der Laternen wie eine betrübte Puppe. »Ich hatte versucht, zusammen mit einigen Gesinnungsgenossen die Künstliche Natur zu Fall zu bringen - zumindest in einer begrenzten Region. Wir wollten zurückkehren zu so erhabenen Beschäftigungen wie der Industrie und dem Bauwesen! Wir wollten wieder mit unseren Köpfen und mit unseren Händen arbeiten. Ich gebe zu, dass dabei … intelligente Wesen sterben mussten. Keine Menschen, Sie können das nicht begreifen, es waren Surfer, stehende Wellen in der Materie der K.N. Durch die Abschaltung der K.N. wurden sie getötet. Ich wurde zur Strafe hierher verbannt.«
    »Ich weiß, was es heißt, in der Verbannung zu leben«, sagte Hayden. Aubri lächelte.
    »Bevor ich zurückkehren darf, muss ich für die Künstliche Natur einen Auftrag ausführen«, fügte sie hinzu. Sie war plötzlich ernst geworden. »Er hängt über mir wie ein Damoklesschwert. Wenn ich mich weigere … muss ich sterben.«
    »Wie? Schickt man Ihnen einen Killer?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Der Killer ist schon da, er ist in meinem Körper. Er wartet ab und beobachtet mich. Wenn ich meine Rolle nicht bis zum Ende durchhalte, ist das mein Ende.«

    Ein solches Geständnis hätte Hayden niemals erwartet. Im Geiste sah er in Aubris Kehle eine fremdartige Maschine lauern, die ihn wie hinter einem Schleier durch die Haut hindurch belauerte. Bei der Vorstellung überlief es ihn eiskalt. »Und was ist das für ein Auftrag?«, fragte er nach langem Schweigen.
    »Das kann ich Ihnen nicht verraten«, erklärte sie schlicht. »Es könnte ihn aktivieren.«
    Tief verwirrt folgte er ihr zu einem Käfig, der an einer Wand befestigt war. Davor saß eine gelangweilt aussehende Frau. Ihre Arme waren so dünn wie die Beine eines Vogels. Sie hatte ihre langen Zehen um einen Riemen gelegt und ordnete Bücher in verschiedene Fächer des Käfigs ein. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte sie und mit einem herablassenden Blick auf Aubri.
    »Hallo, ich bin nicht von hier. Ich suche nach Informationen über Leaf’s Choir.«
    Das Gesicht der Frau hellte sich auf. »Du meine Güte, was für ein interessanter Akzent. Willkommen in Gehellen. Und willkommen in der Bibliothek. Wussten Sie, dass wir seit zweihundertsiebenundvierzig Jahren ununterbrochen geöffnet haben?«
    »Das wundert mich überhaupt nicht«, sagte Hayden.
    »Was ist mit Leaf’s Choir?«, fragte Aubri.
    Die Bibliothekarin gähnte. »Die Romane fangen da hinten an und ziehen sich bis zur Mitte. Kinderbücher da drüben. Opern und Schauspiele dort.«
    »Was ist mit Aerografie?«
    »Karten? Das wäre dann diese Abteilung.« Sie zeigte auf die andere Seite des Raumes. »Aber da werden sie
ziemlich wenig finden. Der Ort Leaf’s Choir an sich ist lange nicht so interessant wie seine Geschichte.«
    »Wie kommt das?«
    »Leaf’s Choir ist nur noch eine ausgebrannte Hülle. Man kann nicht sehr weit ins Innere vordringen, zu wenig Sauerstoff, und gelegentlich flackern Brände auf. Und was immer in den äußeren Schichten zu holen war, wurde schon vor Jahrzehnten abgebaut. Leaf’s Choir ist ein Sargassum.«
    Plötzlich ging Hayden ein Licht auf. Bei der Ausrüstung der Krähe hatte man nicht nur an den Winterflug gedacht; auch Lufttanks

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