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Virga 01 - Planet der Sonnen

Titel: Virga 01 - Planet der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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und Dichtungsmasse für die Bullaugen waren eingelagert. Das Schiff hatte einen großen Heizofen, führte aber zusätzlich Steinsalzbatterien zur Wärmespeicherung mit.
    Wir wollen da reinfliegen, dachte er in jähem Staunen.
    »Es muss schon eine spannende Geschichte sein, wenn sie von all diesen Romanen zum Thema genommen wurde«, sagte Aubri und betrachtete die Regale. Die Bibliothekarin nickte.
    »Die zugrundeliegende Geschichte ist ebenso märchenhaft wie die Romane«, sagte sie. »Einst brannten zwei Sonnen im Herzen von Leaf’s Choir. Sie waren von außerhalb der Nation nicht sichtbar, weil sie von einem einzigen riesigen Wald umgeben waren: Millionen von schwerelosen Bäumen, die wie in einem Spinnennetz über ein Geflecht von Seen und Felstrümmern vielfach miteinander verbunden waren. Der Wald bildete eine Sphäre von mehr als achtzig Kilometern, und darin befanden sich Dutzende von Habitaten und Hunderte von Dörfern, die aus den Ästen der lebenden
Bäume erbaut waren.« Die Bibliothekarin zeichnete die Formen mit den Händen nach. Durch die langen Schatten, die die Lampen warfen, übertrugen sich die Gesten auf die Bücherregale hinter ihr. »Das undurchdringliche Laub bot den Bürgern nicht nur Schutz, es war auch ihre Einkommensquelle, und Leaf’s Choir blühte.
    Jahrhundertelang herrschte Frieden, doch dann verbreiteten sich Gerüchte über die Schönheit einer Erbin von Leaf’s Choir, und als diese Gerüchte einem Kriegsfürsten zu Ohren kamen, beschloss er, das Mädchen für sich zu gewinnen. Er belagerte die Nation, eroberte schließlich die riesigen Luftpumpstationen, die verhinderten, dass sich der Wald mit Sauerstoff übersättigte, und drohte, sie zu sprengen, wenn man ihm die junge Dame nicht überließe. Die Regierung lehnte ab, aber die Erbin floh heimlich aus der Hauptstadt, begab sich ins Lager des Kriegsfürsten und lieferte sich ihm aus.
    Um Leaf’s Choir zu bestrafen, ließ der Kriegsfürst die Pumpstationen dennoch sprengen. Dann zog er ab - und hinter ihm wurden die Millionen Bäume des Waldes auch weiterhin von der Sonne beschienen und produzierten Sauerstoff. Man hatte sie über Jahrhunderte gezüchtet und konnte schließlich nur mithilfe der Pumpen eine künstliche Zirkulation aufrechterhalten, die verhinderte, dass sich der Sauerstoff innerhalb der Nation gefährlich konzentrierte. Ohne die Pumpen drohte der kleinste Funke eine verheerende Feuersbrunst zu entfachen - und genau das geschah nur wenige Monate nach dem Abzug des Kriegsfürsten. Das Feuer entstand im Herzen von
Leaf’s Choir, breitete sich nach außen aus und verzehrte alles, die Habitate, die Bäume und am Ende auch die Sonne. Als es endlich erstarb, blieb nur eine fünfzig Kilometer große Sphäre aus Holzkohle und Asche zurück. Diese Sphäre ist nun am Rand von Gehellens Luftraum vertäut, und wir bauen dort seit Jahrzehnten Holzkohle ab. Das geht nur sehr langsam, denn im Innern des Sargassums gibt es immer noch luftleere Taschen, die glühend heiß sind. Wenn diese Taschen mit Sauerstoff in Berührung kommen, bricht das Feuer von neuem aus; Leaf’s Choir erstickt also weiterhin an toter Luft, die sich nicht bewegt. Wir fliegen mit besonderen Schiffen hinein, aber die Navigation ist ein Alptraum; man kämpft sich bis in alle Ewigkeit durch schwarze, bizarr verformte Trümmer. Leaf’s Choir ist hässlich - eine Wunde am Himmel. Wenn es nicht um die Kohle ginge, würde kein Mensch jemals hinfliegen.«
    »Das ist sehr traurig«, sagte Aubri.
    Doch tief im Innern dieses Sargassums, überlegte Hayden, lag angeblich der geheime Schatz des Piratenkönigs verborgen.
    Sie brüteten mehrere Stunden über den Karten. Die Bibliothekarin war sehr hilfsbereit - Hayden und Aubri sorgten für Abwechslung in ihrem eintönigen Alltag, und das war offenbar hoch willkommen. Allmählich lernten die beiden, wieder unbefangener miteinander umzugehen. Hayden wurde zwar immer noch abgelenkt, wenn Aubri nach etwas griff und dabei ein Stück Schenkel oder Wade sichtbar wurde, aber sie tat so, als nehme sie seine Blicke nicht wahr. Die Zeit verging wie im Flug.

    Dennoch musste Hayden immer wieder an die Mordwaffe denken, von der sie ihm erzählt hatte. Ob es wohl eine Möglichkeit gab, das Ungeheuer aus ihr herauszuholen oder es zu vergiften oder blind zu machen? Aubri sprach nicht mehr davon, und auch er kam nicht mehr auf seine eigenen Sorgen zurück. Vielleicht hatten sie beide das Bedürfnis, sich abzulenken, jedenfalls

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