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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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noch Deutscher. Seine Jacke ist auch aus Leder, aber ganz anders als die von Skinner.
    Irgendein dünnhäutiges Tier, dessen Haut wie schwere Seide fällt, tabakfarben. Sie denkt an den Geruch der Magazine mit dem gelben Rücken oben in Skinners
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    Bude, manche so alt, daß die Bilder nur noch aus
    Grauschattierungen bestehen, so wie die Stadt
    manchmal von der Brücke aus aussieht.
    »Mir ging's prächtig, bis Sie aufgetaucht sind.«
    Chevette denkt, daß es wahrscheinlich Zeit ist zu gehen.
    Dieser Kerl bedeutet nichts Gutes.
    »Sag mir«, verlangt er mit einem abschätzenden Blick auf die Jacke, das T-Shirt und die Radlerhose, »was für Dienste du anbietest.«
    »Was, zum Teufel, soll das denn heißen?«
    Er zeigt auf die Tenderloin-Mädchen auf der anderen Seite des Zimmers. »Du hast doch eindeutig was Interessanteres« — er rollt seine Zunge feucht um das Wort herum — »zu bieten als die beiden da drüben.«
    »Blödsinn«, sagt Chevette. »Ich bin Botin.«
    Und ein komisches Zögern geht über sein Gesicht, als ob etwas an seinem Suff vorbeigekommen wäre und ihn angestupst hätte. Dann wirft er den Kopf zurück und lacht, als hätte er den größten Witz aller Zeiten gehört.
    Sie erhascht einen Blick auf sehr weiße, sehr teuer aussehende Zähne. Reiche Leute haben nie Metall in den Zähnen, hat Skinner ihr erklärt.
    »Hab ich was Komisches gesagt?«
    Das Arschloch wischt sich die Augen. »Aber wir
    haben was gemeinsam, du und ich ...«
    »Glaub ich kaum.«
    »Ich bin auch ein Bote«, sagt er, obwohl er in Chevettes Augen so aussieht, als ob ihn schon ein 67
    bescheidener Hügel auf die Empfängerliste für eine Schweineherzklappe bringen würde.
    »Ein Kurier«, sagt er, wie um sich selbst daran zu erinnern.
    »Na, dann proj on«, sagt sie und geht um ihn herum, aber genau in diesem Augenblick geht das Licht aus, die Musik setzt ein, und es ist das Intro von Chrome Korans ›She God's Girlfriend‹. Chevette, die total auf Chrome Koran abfährt und sie auf dem Rad voll aufreißt, wenn sie mal zusätzlichen Schub braucht, um weiterzuprojen, bewegt sich jetzt einfach zur Musik; alle tanzen, sogar die Ice-Freaks aus dem Badezimmer.
    Jetzt, wo das Arschloch nicht mehr da ist — aus den Augen, aus dem Sinn —, fällt ihr auf, wieviel besser diese Leute aussehen, wenn sie tanzen. Sie findet sich gegenüber von einem Mädchen in Lederrock und kleinen schwarzen Stiefeln mit klingelnden Silbersporen wieder. Chevette grinst; das Mädchen grinst zurück.
    »Bist du von hier?« fragt das Mädchen, als ›She
    God's Girlfriend‹ zu Ende ist. Das Mädchen — die Frau
    — ist älter, als sie gedacht hat; Ende zwanzig vielleicht, aber eindeutig älter als Chevette. Gutaussehend; aber nicht so, als ob alles nur aus dem Schminkkoffer käme; dunkle Augen, dunkle, kurze Haare. »Aus San Francisco?«
    Chevette nickt.
    Der nächste Song ist älter als sie; dieser Schwarze, der sich in einen Weißen verwandelt hat und dessen 68
    Gesicht dann eingefallen ist, glaubt sie. Sie schaut nach unten und sucht ihren Drink, aber die Gläser sehen alle gleich aus. Ihr japanisches Püppchen tanzt mit schwingenden Ponyfransen vorbei, ohne ein Zeichen des Wiedererkennens in den Augen, als sie Chevette sieht.
    »Normalerweise findet Cody in San Francisco alles, was er braucht«, sagt die Frau. In ihrer Stimme klingt Müdigkeit mit, aber gleichzeitig merkt man, daß sie das alles ziemlich lustig findet. Eine Deutsche, vermutet Chevette nach ihrem Akzent.
    »Wer?«
    Die Frau hebt die Augenbrauen. »Unser Gastgeber.«
    Aber sie zeigt immer noch ihr breites, unbekümmertes Grinsen.
    »Ich bin hier einfach so reinspaziert ...«
    »Ich wünschte, ich könnte das gleiche sagen!« Die Frau lacht.
    »Wieso?«
    »Dann könnte ich auch wieder rausspazieren.«
    »Gefällt's dir hier nicht?« Von nahem riecht sie teuer.
    Chevette macht sich auf einmal Gedanken darüber, wie sie selbst riechen muß, nach einem Tag auf dem Rad und ohne eine Dusche. Aber die Frau nimmt ihren Ellbogen und führt sie beiseite.
    »Du kennst Cody nicht?«
    »Nein.« Chevette sieht den Betrunkenen — das
    Arschloch — durch die Tür zum nächsten Zimmer, wo 69
    das Licht noch brennt. Er blickt sie direkt an. »Und ich glaube, ich sollte jetzt mal gehen, okay?«
    »Du mußt nicht. Bitte. Ich beneide dich nur, weil du die Wahl hast.«
    »Bist du Deutsche?«
    »Padanierin.«
    Chevette weiß, daß das ein Teil des früheren Italien ist. Der nördliche Teil, glaubt sie.

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