Virtuelles Licht
»Wer ist dieser Cody?«
»Cody mag Partys. Cody mag diese Party. Sie läuft jetzt schon seit etlichen Jahren. Wenn nicht hier, dann in London, Prag oder Macao ...« Ein Boy kommt mit einem Getränketablett durch die Menge. Für Chevette sieht er nicht so aus, als ob er im Hotel arbeiten würde: Sein steifes weißes Hemd ist nicht mehr gar so steif, es ist völlig offen, die zerknitterten Schöße hängen herunter, und sie sieht, daß er sich eins dieser Dinger, die wie kleine Stahlhanteln aussehen, durch eine Brustwarze gebohrt hat. Sein steifer Kragen ist vorne abgegangen und steht ihm im Nacken hoch wie ein abgerutschter Heiligenschein. Die Frau nimmt ein Glas Weißwein, als er ihr das Tablett hinhält. Chevette schüttelt den Kopf.
Auf dem Tablett steht eine weiße Untertasse mit Pillen und Dancerbriefchen, wie es scheint.
Der Boy zwinkert Chevette zu und geht weiter.
»Findest du das merkwürdig?« Die Frau trinkt ihren Wein aus und wirft das leere Glas über die Schulter nach hinten. Chevette hört, wie es zerbricht.
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»Hm?«
»Codys Party.«
»Ja. Glaub schon. Ich meine, ich bin hier bloß so reinspaziert ...«
»Wo wohnst du?«
»Auf der Brücke.« Sie beobachtet sie, um ihre
Reaktion zu sehen.
Das Grinsen wird breiter. »Wirklich? Sie sieht so ...
geheimnisvoll aus. Ich würde gern mal da hin, aber es gibt keine Touren, und es heißt, es ist gefährlich ...«
»Ach was«, sagt Chevette und zögert dann. »Nur ...
putz dich nicht so raus, okay? Aber gefährlich ist es nicht, nicht mal so gefährlich wie hier in der Gegend.«
Sie denkt an die Gestalten um die Mülltonnenfeuer.
»Nach Treasure Island solltest du allerdings nicht rausfahren. Und versuch nicht, rüber nach Oakland zu kommen. Bleib auf der Seite mit der Hängekonstruktion.«
»Wohnst du gern da?«
»Scheiße, ja. Ich möchte nirgendwo anders
wohnen.«
Die Frau lächelt. »Dann hast du großes Glück, finde ich.«
»Tja.« Chevette kommt sich tolpatschig vor. »Ich
muß los.«
»Ich heiße Maria.«
»Chevette.« Sie streckt ihr die Hand hin. Fast wie ihr zweiter Name. Chevette-Marie.
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Sie schütteln sich die Hände.
»Wiedersehn, Chevette.«
»Und noch 'ne schöne Party, okay?«
»Das ist keine schöne Party.«
Chevette zieht die breiten Schultern von Skinners Jacke zurecht, nickt Maria zu und beginnt, sich durch die Menge zu schieben. Die ist jetzt etliche Grade dichter geworden, als ob immer noch Freunde von diesem Cody eintreffen würden. Mehr Japaner jetzt, fällt ihr auf, alle mit dunklen Anzügen; ihre Frauen oder Sekretärinnen oder was immer tragen alle Perlen. Aber das hindert sie augenscheinlich nicht daran, auf die Stimmung hier einzusteigen. Es ist auch lauter geworden, weil die Leute mittlerweile betrunkener und higher sind.
Es ist dieses konstante, lärmige Partygebrabbel, das sich einstellt, wenn die Drinks ihre Wirkung tun, und jetzt will sie nur um so schneller hier raus.
Sie bleibt vor dem Bad stecken, in dem sie die Ice-Freaks gesehen hat, aber jetzt ist die Tür geschlossen.
Ein Haufen Franzosen unterhalten sich auf Französisch, lachen und gestikulieren mit den Händen, aber Chevette kann hören, daß da drin jemand kotzt. »Darf ich mal durch«, sagt sie zu einem Mann mit Fliege und grauem Bürstenschnitt und drängt sich einfach an ihm vorbei, so daß er einen Teil seines Drinks verschüttet. Er ruft ihr auf Französisch was nach.
Sie hat jetzt wirklich einen Anfall von
Klaustrophobie, wie manchmal in Büros, wenn sie was 72
abholen soll und eine Empfangsdame sie warten läßt; dann sieht sie die Bürotypen durch die Gegend hetzen und fragt sich, ob die eigentlich alle irgendwo hinwollen oder einfach nur aus Spaß hin und her laufen. Vielleicht ist ihr auch der Wein ein bißchen zu Kopf gestiegen, denn sie trinkt nur selten was, und jetzt findet sie den Geschmack im Rachen unangenehm.
Und da ist auch plötzlich ihr Betrunkener wieder, ihr Euro mit seiner nicht angezündeten Zigarre. Seine schweißfeuchte Stirn ist zu nah an dem stumpfäugigen, vage beunruhigten Gesicht eines der Tenderloin-Mädchen. Er hat sie in eine Ecke bugsiert. Und es ist ein solches Gedränge, so nah an der Tür und dem Flur und der Freiheit, daß Chevette für eine Sekunde an seinen Rücken gepreßt wird. Aber das stört ihn nicht weiter, nein — er quatscht das Mädchen weiterhin mit seinem stinklangweiligen Bockmist voll, obwohl er seinen Ellbogen hart nach hinten in Chevettes Rippen rammt, um sich mehr Platz
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