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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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sie herabzuschauen. Sie hatte Bilder gesehen, wie sie früher ausgesehen hatte, als den ganzen Tag Autos auf ihr hin und her gefahren waren, aber denen hatte sie nie so recht geglaubt. Die Brücke war, was sie war und irgendwie immer gewesen war. Eine Zuflucht, ein merkwürdiger Schlafplatz für sie, die Heimat von ungezählt vielen und all ihren Träumen.
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    Sie glitschte an einem Fischwagen vorbei, weil sie in gestoßenem Eis und grauen Innereien, um die sich am Morgen die Möwen streiten würden, die Bodenhaftung verlor. Der Fischmann rief ihr irgendwas hinterher, aber sie konnte es nicht verstehen.
    Sie fuhr weiter ins abendliche Getriebe hinein,
    zwischen Ständen und Buden hindurch, und suchte nach Sammy Sal. Sie fand ihn dort, wo sie vermutet hatte. Er lehnte bei einem Espressowagen auf seinem Lenker, ohne auch nur schwer zu atmen. Eine junge Mongolin mit Wangenknochen wie Meißel und einer Honigschicht darüber schenkte ihm gerade eine Tasse ein. Chevette stieg in die Partikelbremsen und kam schlitternd neben ihm zum Stehen.
    »Dachte, ich hätte noch Zeit für 'nen kleinen«, sagte er und griff nach der winzigen Tasse.
    Ihre Beine schmerzten von der Anstrengung, mit ihm mitzuhalten. »Ist auch besser«, sagte sie mit einem raschen Blick zur Brücke, dann gab sie dem Mädchen ein Zeichen, ihr auch einen zu machen. Sie beobachtete, wie der dampfende Puck aus braunem Satz herausgeklopft wurde, die neue Ladung, das schnelle, kurze Feststopfen. Das Mädchen schwenkte den Hebel hoch und legte das Sieb in die Maschine ein.
    »Weißte«, sagte Sammy Sal, der vor einem ersten,
    kleinen Schluck innehielt, »du solltest so 'n Problem gar nicht haben. War gar nicht nötig. Es gibt nur zwei Arten von Menschen. Die, die sich solche Hotels leisten 199
    können, sind die einen. Wir sind die anderen. Früher gab's mal so was wie 'ne Mittelschicht, Leute, die dazwischen waren. Aber jetzt nicht mehr. Die einzige Beziehung, die du und ich zu diesen Leuten haben, ist, daß wir ihre Botschaften durch die Gegend projen.
    Dafür werden wir bezahlt. Wir geben uns Mühe, ihnen nicht auf den Teppich zu tropfen, wenn's regnet. Und wir kommen zurecht, stimmt's? Aber was passiert an der Schnittstelle? Was passiert, wenn wir miteinander in Berührung kommen?«
    Chevette verbrannte sich den Mund am Espresso.
    »Verbrechen«, sagte Sammy. »Sex. Vielleicht
    Drogen.« Er stellte seine Tasse auf dem Sperrholztresen des Wagens ab. »Das war's so ziemlich.«
    »Du bumst mit ihnen, hast du gesagt.«
    Sammy Sal zuckte die Achseln. »Macht mir Spaß.
    Wenn's Probleme gibt, krieg ich das schon geregelt.
    Aber du bist einfach hingegangen und hast irgendwas getan, ohne Grund. Hast durch die Membran gegriffen.
    Hast mit den Fingern gedacht. Keine gute Idee.«
    Chevette pustete auf ihren Kaffee. »Ich weiß.«
    »Und wie willste damit fertigwerden, was da auf dich zukommt?«
    »Ich geh rauf zu Skinners Bude, hol die Brille, steig damit aufs Dach und werf sie runter.«
    »Und dann?«
    »Dann mach ich so weiter wie bisher, bis irgendwer bei mir auftaucht.«
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    »Und dann?«
    »›War ich nicht. Hab keinen Schimmer. Hab ich nix mit zu tun. Ehrlich.‹«
    Er nickte langsam, ohne jedoch den Blick von ihr
    abzuwenden. »Mhm. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
    Wenn jemand die Brille zurückhaben will, kann er dir reichlich auf die Pelle rücken, 'ne andere Möglichkeit: Wir holen sie, fahren zu Allied zurück und erklären ihnen, wie's passiert ist.«
    »Wir?«
    »Mhm. Ich komme mit.«
    »Dann bin ich meinen Job los.«
    »Du kannst dir 'nen anderen besorgen.«
    Sie trank den kleinen Kaffee mit einem Schluck aus und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.
    »Der Job ist alles, was ich habe, Sammy. Das weißt du doch. Du hast ihn mir besorgt.«
    »Du hast da oben 'ne Schlafstelle. Du hast diesen verrückten alten Motherfucker, der dich aufgenommen hat ...«
    »Ich ernähre ihn, Sammy Sal ...«
    »Und dein Arsch ist noch heil, Honey. Wenn so 'n
    reicher Mann beschließt, dir das Fell über die Ohren zu ziehen, weil du ihm seine Datenbrille geklaut hast, dann ist das vielleicht bald nicht mehr so.«
    Chevette stellte ihre leere Tasse auf den Tresen und wühlte in ihren Jackentaschen. Sie gab dem Mädchen fünfzehn für die beiden Kaffee und zwei Dollar Tip und 201
    straffte die Schultern unter Skinners Jacke. Die
    Kugelketten rasselten. »Nein. Wenn das Scheißding erst mal in der Bucht liegt, kann keiner mehr beweisen, daß ich was getan

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