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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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handelte.
    »Oder«, sagte Freddie, »du kannst jetzt hier sein ...«
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    Und das Bett war wieder da, blutgetränkt, darauf der weiche, massige Leichnam des Mannes mit gespreizten Armen und Beinen, wie ein Frosch. Das Ding unter seinem Kinn, blauschwarz und knollig.
    Rydells Magen hob sich, Galle stieg ihm im Hals hoch, und dann kam eine nackte Frau, die von einem anderen Bett in einem anderen Zimmer aufstand, ihr Haar wie Silber in einem unmöglichen Mondlicht ...
    Rydell riß sich die Brille herunter. Freddie lag im Sessel, den Laptop auf den Knien, und schüttelte sich vor lautlosem Lachen. »Mann«, brachte er heraus, »du hättest mal dein Gesicht eben sehen sollen! Hab dir was vom Porno des Burschen aus Arkadys Beweismaterial reingespielt ...«
    »Freddie«, sagte Warbaby, »bist du scharf drauf, dir einen neuen Job zu suchen?«
    »Nein, Sir, Mr. Warbaby.«
    »Ich kann hart sein, Freddie. Das weißt du.«
    »Ja, Sir.« Freddies Stimme klang jetzt beunruhigt.
    »Ein Mensch ist in diesem Zimmer gestorben.
    Jemand hat sich über ihn gebeugt, als er auf diesem Bett lag«, er zeigte auf das nicht vorhandene Bett, »hat ihm ein neues Lächeln ins Gesicht geschnitzt und ihm durch dieses Lächeln hindurch die Zunge rausgezogen. Das ist kein beliebiger Mord. Solche Tricks mit der Anatomie lernt man nicht beim Fernsehen, Freddie.« Er streckte Rydell die Hand hin. Rydell gab ihm die Brille. Die Gläser waren wieder schwarz.
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    Freddie schluckte. »Ja, Sir, Mr. Warbaby. Tut mir leid.«
    »Wie funktioniert das?« fragte Rydell.
    Warbaby putzte die Brille erneut und setzte sie wieder auf. Die Gläser waren jetzt klar. »Im Rahmen und in den Gläsern sind Treiber. Sie wirken direkt auf die Nerven.«
    »Es ist ein Virtuelles-Licht-Display«, sagte Freddie, bestrebt, das Thema zu wechseln. »Alles, was sich digitalisieren läßt, kann man da sehen.«
    »Telepräsenz«, sagte Rydell.
    »Nein«, sagte Freddie. »Das ist Licht. Da kommen Photonen raus und treffen aufs Auge. Dies hier funktioniert anders. Wenn Mr. Warbaby rumläuft und irgendwas anschaut, kann er gleichzeitig die eingegebenen Daten sehen. Wenn man die Brille einem aufsetzt, der keine Augen hat, aber dessen Sehnerv okay ist, kann er den Input sehen. Dafür haben sie die ersten Dinger gebaut. Für Blinde.«
    Rydell ging zu den Vorhängen, zog sie beiseite und schaute auf eine nächtliche Straße in dieser anderen Stadt hinaus. Ein paar Leute waren da unten unterwegs.
    »Freddie«, sagte Warbaby, »spiel mir die kleine Washington von der entschlüsselten IntenSecure—Eingabe rein. Die beim Allied Messenger Service arbeitet.«
    Freddie nickte und machte was mit seinem
    Computer.
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    »Ja«, sagte Warbaby, den Blick auf etwas gerichtet, das nur er sehen konnte, »kann sein. Kann durchaus sein. Rydell«, und er nahm die Brille ab, »schauen Sie mal.« Rydell ließ die Vorhänge zurückfallen, ging zu Warbaby, nahm die Brille und setzte sie auf. Irgendwie hatte er das Gefühl, daß es ein Fehler wäre, zu zögern, selbst wenn es bedeutete, daß er den toten Burschen noch einmal anschauen mußte.
    Von Schwarz über Farbe zur Frontalansicht und zum Profil dieses Mädchens. Fingerabdrücke. Das Bild ihrer rechten Retina, zur Größe ihres Kopfes aufgeblasen.
    Persönliche Daten. WASHINGTON, CHEVETTE—
    MARIE. Große, graue Augen, lange, gerade Nase, ein kleines Grinsen für die Kamera. Dunkle, kurz und stachelig geschnittene Haare, bis auf diesen verrückten Pferdeschwanz, der vom höchsten Punkt ihres Kopfes aus hochstand.
    »Na«, sagte Warbaby, »was meinen Sie?«
    Rydell hatte keine Ahnung, worauf die Frage abzielte.
    Schließlich sagte er nur: »Niedlich.«
    Er hörte Freddie schnauben, als ob das eine dumme Antwort gewesen wäre.
    Aber Warbaby sagte: »Gut. Auf diese Weise
    behalten Sie sie im Gedächtnis.«
     
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Sunflower
    Sammy Sal hängte sie an der Stelle ab, wo sich die Bryant in diesem Mikadohaufen von Panzersperren aus Beton zerfranste. So groß er war, niemand konnte mit ihm mithalten, wenn es darum ging, auf engstem Raum zu manövrieren. Er konnte Kurven fahren, die einfach nicht möglich waren; er konnte im Wiegetritt losfetzen und abrupt um hundertachtzig Grad wenden, wenn es sein mußte, und Chevette hatte gesehen, wie er es wegen einer Wette gemacht hatte. Aber sie glaubte zu wissen, wo sie ihn finden konnte.
    Sie blickte hoch, als sie zwischen den ersten Platten durchschoß, und die Brücke schien mit Augen aus Fackeln und Neonlichtern auf

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