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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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zu öffnen und einfach einen Blick hineinzuwerfen, weil sie ein paar Leute reingehen und rauskommen gesehen hatte und wußte, daß die Tür nicht verschlossen war. Ein großer, fetter Kerl in einem weißen Overall mit kahlrasiertem Schädel kam pfeifend heraus, zwei großgewachsene Frauen mit schwarzen Haaren, die wie hübsche Krähen aussahen und ganz schwarz gekleidet waren, gingen hinein. Sie fragte sich, was das für ein Laden war.
    Sie steckte den Kopf hinein. Hinter einer Theke
    stand eine Frau mit kurzen roten Haaren, und sämtliche Wände waren mit bunten, comicartigen Bildern bedeckt, Farben, die einem in den Augen wehtaten, alles nur Schlangen und Drachen und so. Zu viele Bilder, um alles in sich aufnehmen zu können — Chevette trat zunächst 208
    mal ein, als die Frau sagte, komm rein, versperr nicht bloß die Tür, und erst dann sah sie, daß diese Frau eine ärmellose Flanellhemdbluse trug, die bis zum Nabel offen war, und daß ihre Brust und ihre Arme komplett mit den gleichen Bildern bedeckt waren.
    Im Heim und vorher auf der Straße hatte Chevette
    zwar schon Tätowierungen gesehen, aber das waren
    solche gewesen, die man selber machte, mit Tinte und Nadeln, Garn und einem alten Kugelschreiber. Sie ging hinüber und warf einen eingehenden, langen Blick auf die explodierenden Farben zwischen den Brüsten der Frau — die, obwohl sie vielleicht dreißig war, nicht so groß waren wie die von Chevette —, da waren ein Tintenfisch, eine Rose und blaue Blitze, alles ineinander verschlungen, kein Stück unberührte Haut mehr.
    »Kann ich was für dich tun«, fragte die Frau, »oder wolltest du bloß mal gucken?«
    Chevette blinzelte. »Nein«, hörte sie sich sagen,
    »aber ich hab mich gefragt, was das für kleine
    Metalldinger sind, da im Fenster.«
    Die Frau drehte ein großes schwarzes Buch auf der Theke zu ihr herum. Es sah wie ein Schulhefter aus, nur daß der Einband aus schwarzem Leder mit Chromverzierungen war. Sie schlug es auf, und Chevette hatte das Ding von einem Kerl vor der Nase, ein großes Ding, das einfach so runterbaumelte. Zu beiden Seiten der keilförmigen Eichel war je eine kleine Stahlkugel.
    Chevette stieß nur einen Grunzlaut aus.
    209
    »Das nennt man einen Amphalang«, sagte die Frau.
    Sie begann, das Buch durchzublättern. »Hanteln«, sagte sie. »Eine Septumnadel. Ein Labrumknopf. Das ist ein Eichelring. Dies hier nennt sich Milchkanne. Das sind Bombengewichte. Edelstahl, Niobium, Weißgold, vierzehn Karat.« Sie schlug zu dem Schniedel mit dem Bolzen zurück, der seitlich durch die Spitze ging.
    Vielleicht war es ein Trick, dachte Chevette, ein Trickbild.
    »Das muß doch wehtun«, sagte sie.
    »Nicht so sehr, wie man denkt«, diese laute, tiefe Stimme, »und danach isses einfach nur noch geil ...«
    Chevette schaute zu diesem schwarzen Typ hoch, zu seinem breiten, weißen Grinsen, all den Zähnen und der Mikropore-Filtermaske, die ihm unter dem Kinn hing, und so hatte sie Samuel Saladin DuPree kennengelernt.
    Zwei Tage später sah sie ihn am Union Square
    wieder, wo er mit einem Haufen von Fahrradkurieren rumhing. Da gehörten die Kuriere für sie schon zu den Sachen in der Stadt, die einen zweiten Blick wert waren.
    Sie hatten Klamotten und Haare wie niemand sonst, und Fahrräder mit Neonlicht und Leuchträdern, deren Lenker wie Skorpionschwänze nach oben gekrümmt
    und umgebogen waren. Und Helme mit kleinen
    Funkgeräten drin. Entweder flitzten sie gerade
    irgendwohin, oder sie gammelten nur so rum, hingen ab und tranken Kaffee.
    210
    Er stand da, mit der Querstange seines Fahrrads
    zwischen den Beinen, und aß ein Sandwich. Musik kam aus dem schwarz gefleckten, pinkfarbenen Rahmen, hauptsächlich Baßtöne, und er wippte irgendwie dazu.
    Sie kam langsam näher, um sich das Rad und seine
    Bauweise besser anschauen zu können; die komplizierte Konstruktion seiner Bremsen und Schaltungen zog sie sofort an. Schönheit.
    »Bing Bang«, sagte er mit einem Bissen Sandwich im Mund, »mein Amphalang. Wo hast du denn die Schuhe her?«
    Es waren welche von Skinner, alte Stoffturnschuhe, die zu lang für sie waren, so daß sie vorn ein bißchen Papier reingestopft hatte.
    »Hier.« Er hielt ihr eine Hälfte seines Sandwich hin.
    »Ich bin schon pappsatt.«
    »Dein Rad«, sagte sie und nahm das Sandwich.
    »Was ist damit?«
    »Es ist ... es ist ...«
    »Gefällt's dir?«
    »Mhm!«
    Er grinste. »Sugawara-Rahmen, Sugawara—
    Kettenantrieb und Zahnkranz, Zuni-Hydraulik. Erste

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