Virtuelles Licht
keinen Furz weit traute, wie ihm immer klarer wurde — diesen Deutschen, oder was immer er war, in dem Hotel massakriert hatte. Und ihm die Brille geklaut hatte, die Rydell zurückholen sollte, so eine wie die von Warbaby. Aber wenn sie die vorher schon geklaut hatte, weshalb sollte sie dann später noch mal zurückkommen, um den Kerl umzubringen? Die eigentliche Frage war jedoch, was das eine mit dem anderen zu tun hatte, oder 272
damit, daß er mit seinem Vater so oft Cops in Schwierigkeiten gesehen hatte. Und die Antwort war vermutlich, daß er, wie jeder andere in seiner Lage, einfach versuchte, sich seine Brötchen zu verdienen.
Dicke Regenströme kamen von verschiedenen
Stellen in dem ganzen wirren Geflecht da oben herab und klatschten auf den Boden. Ein Stück von der Brücke entfernt leuchtete etwas rosarot auf, wie ein Blitz. Er glaubte zu sehen, wie sie etwas wegwarf, aber wenn er stehenblieb, um nachzusehen, was es war, würde er sie vielleicht verlieren. Sie bewegte sich jetzt, wich den Wasserfällen aus.
Die Technik der Straßenobservation war nichts, was auf der Akademie besonders geübt wurde, außer wenn man als so gutes Detektivmaterial galt, daß man eine direkt auf die Kripo-Kurse für Fortgeschrittene zugeschnittene Ausbildung bekam. Aber Rydell hatte sich trotzdem das Lehrbuch gekauft. Dummerweise wußte er von daher, daß man für so was mindestens einen Partner brauchte, vorausgesetzt, man hatte Funkgeräte und es gab ein paar Bürger, die ihren
Geschäften nachgingen und einem auf diese Weise ein wenig Deckung gaben. Wenn man es so machen mußte wie er jetzt, konnte man bestenfalls darauf hoffen, der Zielperson unbemerkt nachschleichen zu können. Daß sie es war, erkannte er an der ausgeflippten Haartracht, dem Pferdeschwanz, der im Nacken hochstand wie bei einem fetten japanischen Ringer. Sie war aber nicht fett.
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Ihre Beine ragten aus einer großen alten Motorradjacke heraus, die ein paar Jahre in einem Schuppen gehangen haben mochte, und sahen aus, als ob sie viel Sport machen würde. Sie waren von einem engen, glänzenden, schwarzen Stoff bedeckt, der Kevins Mikropore-Outfits von Just Blow Me ähnelte, und steckten unten in irgendwelchen dunklen Stiefeln oder Schuhen mit hohen Schäften.
Er konzentrierte sich so sehr auf sie und gab sich solche Mühe, außer Sicht zu bleiben, falls sie sich umdrehte, daß er es fertigbrachte, direkt unter einen der Wasserfälle zu geraten. Das Wasser lief ihm genau in den Nacken. In diesem Moment hörte er, wie ihr jemand zurief: »Chev, bist du das?«, und er ließ sich in einer Pfütze hinter einem Stapel erbeuteter Holzstücke mit aufgeweichtem Putz dran auf ein Knie nieder.
Identifikation positiv.
Der Wasserfall hinter ihm machte zuviel Lärm, als daß er hätte hören können, was danach gesprochen wurde, aber er konnte sie sehen: einen jungen Burschen mit einer Lederjacke, die viel neuer war als ihre, und jemand anderen in etwas Schwarzem, mit einer Kapuze auf dem Kopf. Sie saßen auf einem Kühlapparat oder so, und der Typ in Leder sog an einer Zigarette. Er hatte die Haare zu einer Art Haube hochgekämmt; guter Trick, bei dem Regen. Die Zigarette flog in hohem Bogen davon und erlosch in der Nässe, und der Bursche sprang von dem Ding runter und schien mit dem 274
Mädchen zu reden. Der mit der schwarzen Kapuze stieg ebenfalls ab. Er bewegte sich wie eine Spinne. Er trug ein Sweatshirt mit Ärmeln, die ihm fünfzehn Zentimeter weit über die Hände hingen. Er sah aus wie ein schlabbriger Schatten aus einem alten Film, den Rydell mal gesehen hatte, in dem die Schatten von den Menschen getrennt wurden, so daß man sie einfangen und wieder annähen mußte. Sublett würde ihm wahrscheinlich sagen können, wie der hieß.
Er gab sich alle Mühe, sich nicht zu bewegen,
während er dort in der Pfütze kniete, und dann
bewegten sie sich; die beiden Burschen nahmen das Mädchen in die Mitte, und der Schatten warf einen Blick zurück, um zu sehen, ob hinter ihnen alles in Ordnung war. Rydell erhaschte ein Stück von einem weißen Gesicht und einem Paar harter, wachsamer Augen.
Er zählte: eins, zwei, drei. Dann stand er auf und folgte ihnen.
Er konnte nicht sagen, wie weit sie schon gegangen waren, als er sie plötzlich einfach im Boden versinken sah, wie es schien. Er wischte sich Regen aus den Augen und versuchte, sich das zu erklären, aber dann sah er, daß sie eine Treppe hinuntergegangen waren, die in die untere Ebene eingelassen
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