Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
würde, am besten gestern noch, Miestkärrel, und der Typ gehorchte natürlich, wobei ihm die Augen fast aus dem Kopf quellen wollten, und Orlowsky lachte ihm nach.
    Sie kamen an eine Stelle, wo mehr Lichter brannten, ungefähr dort, wo Rydell Chevette Washington zum ersten Mal gesehen hatte. Er schaute nach unten, um zu sehen, wohin er trat, und stellte fest, daß sie schwarze Kampfstiefel trug, genau die gleichen wie er.
    Brandsohlen aus Lexan.
    »He«, sagte er, »stark, die Schuhe.«
    Und sie schaute ihn bloß an, als ob er nicht ganz dicht wäre, und er sah, daß ihr Tränen übers Gesicht liefen.
    Und Swobodow rammte die Mündung seiner H&K
    hart in Rydells Kiefergelenk, direkt vor seinem rechten Ohr, und sagte: »Mistkerl. Du redest nicht mit ihr.«
    Rydell sah Swobodow über den Lauf der Waffe
    hinweg von der Seite an. Er wartete, bis er es für sicher hielt, okay zu sagen.
    Danach versuchte er nicht mehr, mit ihr zu reden oder sie auch nur anzusehen. Als er damit davonzukommen glaubte, sah er Swobodow an. Wenn sie ihm die Handschelle abnahmen, würde er diesen Hurensohn
    vielleicht auf die Bretter schicken.
    297
    Kurz nachdem der Russe die Kanone von seinem
    Ohr weggenommen hatte, war Rydell hinter ihnen
    jedoch etwas aufgefallen. Nichts, was sich ihm
    besonders einprägte, aber später ging ihm ein Licht auf: so ein großer, langhaariger Bär, der von dem kleinen Eingang aus, der keine dreißig Zentimeter breit zu sein schien, zu ihnen herüberblinzelte, als sie dort im Licht standen.
    Im Gegensatz zu vielen anderen Leuten hatte Rydell keine besonderen Vorurteile gegen Schwarze oder Immigranten oder so. Tatsächlich hatte das zu den Dingen gehört, die ihm auf die Akademie verholfen hatten, obwohl sein Abschlußzeugnis von der High-School nicht gerade sensationell ausgefallen war. Sie hatten all diese Tests mit ihm gemacht und waren zu dem Ergebnis gekommen, daß er kein Rassist sei. Er war auch keiner, aber das lag nicht daran, daß er besonders viel darüber nachgedacht hätte. Er verstand bloß nicht, wozu es gut sein sollte. Es brachte bloß eine Menge Ärger, wenn man einer war, und wozu das Ganze? Kein Mensch würde heimgehen und dort leben, wo er früher gelebt hatte, nicht wahr, und wenn doch (vermutete er vage), würde es kein mongolisches Barbecue geben, und wir würden vielleicht alle bloß noch Pentecost-Metal hören und überhaupt war die Präsidentin eine Schwarze.
    Als Chevette Washington und er zwischen den
    Platten der Panzersperre durchgingen, wobei ihre
    298
    aneinandergefesselten Handgelenke in einem stupiden Abtanzball-Einklang hin-und herschwangen, mußte er jedoch zugeben, daß er sich im Moment von ein paar ganz speziellen Schwarzen und Immigranten ein bißchen auf den Schlips getreten fühlte. Warbabys Fernsehpredigermelancholie ging ihm langsam auf den Geist; er fand, daß Freddie ein richtiger Flachwichser war, wie es sein Vater ausgedrückt hätte; und Swobodow und Orlowsky mußten das sein, was sein
    Onkel, der zum Militär gegangen war, als
    Bullenschweine bezeichnet hatte.
    Und nun sah er Freddie, der mit dem Hintern am
    vorderen Kotflügel des Patriot lehnte und mit dem Kopf zu irgendwelcher Musik aus seinen Kopfhörern wackelte, während die Texte, oder was immer, um die Ränder seiner Turnschuhe herumliefen, von roten Leuchtdioden zum Leben erweckt. Er mußte den Regen im Wagen ausgesessen haben, denn sein Hemd mit den aufgedruckten Knarren und seine großen Shorts waren nicht mal feucht.
    Und Warbaby mit seinem langen, wattierten Mantel, den Hut bis zu dieser VL-Brille herunterzogen. Er sah wie ein Kühlschrank aus, falls ein Kühlschrank sich auf einen Stock stützen konnte.
    Und den grauen Ziviltank der Russen, der Nase an
    Nase mit dem Patriot stand und dessen mit
    Panzerplatten geschützte Reifen sowie der Bullfänger aus Graphit jedem, den es interessierte, ›Polizeifahrzeug‹
    299
    entgegenschrien. Und einige interessierte es wirklich, sah Rydell, eine kleine Schar von Brückenbewohnern nämlich, die sie von diversen erhöhten Aussichtspunkten auf den Betonplatten und von den zerbeulten Imbißwagen aus beobachteten. Kleine Kinder, ein paar mexikanisch aussehende Frauen mit Haarnetzen; als ob sie in der Lebensmittelzubereitung arbeiteten, ein paar harte Burschen in schmutzigen Arbeitsklamotten, die sich auf Schaufeln und Schiebebesen stützten. Sie schauten bloß zu, und ihre Gesichter waren sorgsam neutral, wie häufig bei Leuten, die den Cops neugierig bei der

Weitere Kostenlose Bücher