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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Das
    durch ein einzelnes, winziges Loch einfallende Licht hatte ein riesiges Bild der Unterseite der unteren Ebene, des nächsten Turms und der Bucht drumherum ins
    pechschwarze Innere der Konstruktion projiziert. Jetzt beherbergte das Innere der Verankerung eine
    unbekannte Anzahl der geheimnisvolleren Bewohner der 307
    Brücke, und Skinner hatte ihm davon abgeraten, dorthin zu gehen. »Kein Vergleich mit den Manson-Typen da draußen im Busch auf Treasure, Scooter, aber du
    solltest die trotzdem lieber in Ruhe lassen. Sind schon okay, die Leute, aber sie haben's halt nicht so gern, wenn jemand einfach so bei ihnen reinschneit, verstehst du, was ich meine?«
    Yamasaki ging zu der sanften Krümmung der Trosse
    hinüber, die durch den Boden des Zimmers ragte. Nur ein ovales Segment davon war sichtbar, wie eine
    Sinuskurve, die nur andeutungsweise eine topologische Fläche in einer Computerdarstellung durchbrach. Er bückte sich, um die Trosse zu berühren. Das sichtbare Segment war von anderen Händen poliert worden.
    Jedes der siebenunddreißig Stahlseile, die wiederum aus vierhundertzweiundsiebzig Strängen bestanden, hatte einer Kraft von mehreren Millionen Pfund standgehalten und hielt ihr auch jetzt stand. Yamasaki spürte, wie etwas, die Botschaft eines ungeheuren, schwer zu definierenden Moments, wie ein Schauer durch den vom Alter geglätteten Trossenbuckel herauflief. Bestimmt der Sturm; die Brücke selbst war zu beträchtlicher
    Bewegung fähig; bei Wärme dehnte sie sich aus, bei Kälte zog sie sich zusammen; die gewaltigen Stahlzähne der Pfeiler waren in das Grundgestein unter dem
    Schlamm der Bay eingelassen, ein Grundgestein, das sich selbst beim Little Grande kaum bewegt hatte.
    308
    Godzilla. Yamasaki erschauerte, als er sich
    Fernsehbilder vom Untergang Tokios ins Gedächtnis rief. Er war mit seinen Eltern in Paris gewesen. Jetzt erhob sich dort eine neue Stadt, deren Gebäude
    buchstäblich Stockwerk für Stockwerk gewachsen
    waren.
    Das Kerzenlicht zeigte ihm Skinners kleinen
    Fernseher, der vergessen am Boden lag. Er nahm ihn mit zum Tisch, setzte sich auf den Hocker und untersuchte ihn. Der Bildschirm hatte keinen sichtbaren Schaden genommen. Er hatte sich nur aus dem Gehäuse gelöst und hing an einem kurzen, vielfarbigen Kabelband. Er faltete das Band ins Gehäuse und drückte mit den Daumen auf beide Ränder des Bildschirms. Er
    schnappte wieder ein, aber ob er noch funktionierte?
    Yamasaki bückte sich, um einen Blick auf die winzigen Sensoren zu werfen. EIN.
    Zitronengelbe und purpurrote Diagonalen jagten
    einander über den Bildschirm, verblaßten dann und gaben den Blick auf irgendein Steadycam-Fragment frei.
    Das NHK-Logo war unten links in der Ecke zu sehen,
    »...der gesetzliche Erbe des Vermögens von Harwood Levine, das dieser mit seiner PR-und Werbefirma
    gemacht hatte, reiste heute nachmittag aus San
    Francisco ab, angeblich nach einem mehrtägigen
    Aufenthalt. Er wollte keinen Kommentar zum Zweck
    seines Besuchs abgeben.« Ein langes Gesicht,
    pferdeartig, aber trotzdem gutaussehend, über dem 309
    hochgeklappten Kragen eines Regenmantels. Ein breites, weißes Lächeln. »Begleitet wurde er« — Aufnahme auf mittlere Entfernung in einem Flughafenkorridor, eine schlanke, dunkelhaarige Frau in etwas Luxuriösem und Schwarzem, aufblitzendes Silber an den Absätzen ihrer glänzenden, Stiefel — »von der aus Film und Fernsehen bekannten Padanierin Maria Paz, der Tochter des Filmregisseurs Carlo Paz ...«
    Die unglücklich aussehende Frau verschwand und
    wurde von Infrarotaufnahmen aus Neuseeland ersetzt, wo japanische Friedenstruppen in Panzerfahrzeugen auf einen ländlichen Flughafen vorrückten, »...hat die verbotene South Island Liberation Front angeblich schwere Verluste erlitten, während in Wellington ...«
    Yamasaki versuchte, den Kanal zu wechseln, aber der Bildschirm gab nur sein zitronengelbes und purpurrotes Geflacker von sich und formte dann ein Porträt von Shapely. Ein dokumentarischer Spielfilm der BBC.
    Ruhig, seriös, ein wenig hypnotisch. Nach zwei weiteren erfolglosen Versuchen, einen anderen Kanal zu finden, gab sich Yamasaki geschlagen, und der britische
    Kommentar übertönte den Wind, das Ächzen der
    Trossen und das Knarren der Sperrholzwände. Er
    konzentrierte sich auf die bekannte Geschichte mit dem feststehenden Ende, das etwas Tröstliches hatte —
    wenn auch nur wegen seiner Gewißheit.
    James Delmore Shapely hatte in den ersten Monaten des neuen

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