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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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was viele Menschen mehr oder weniger unbewußt von Cops erwarteten, und das lag in der Mythologie begründet, wie der eine Dozent auf der Akademie
    erklärt hatte. Ähnlich wie bei dem sogenannten Pater-Mulcahy-Syndrom bei einer Geiselnahme, wenn die Cops sich darüber klar zu werden versuchten, was sie tun sollten. Und weil sie alle schon mal den Film über Pater Mulcahy gesehen hatten, sagten sie, also ich hab's, ich hol einen Priester, ich schaff die Eltern des Burschen her, ich leg meine Waffe ab und geh rein und überrede ihn rauszukommen. Und dann gingen sie rein und bekamen eine Ladung Blei in den Bauch. Weil sie vergaßen, was sie gelernt hatten, und sich dazu verleiten ließen, zu glauben, ein Film könnte ihnen zeigen, wie man es richtig machte. Es konnte auch andersrum laufen, nämlich daß man mit der Zeit so wurde wie die Cops, die man im Kino oder im Fernsehen sah. Davor waren sie alle gewarnt worden. Aber bei Leuten wie Swobodow und Orlowsky, die aus anderen Ländern hergekommen waren, wirkte dieses Medienzeug
    vielleicht noch stärker. Man brauchte sich ja bloß mal anzuschauen, was sie anhatten.
    Mann, er würde sich gleich eine Dusche genehmigen.
    Eine heiße Dusche. Er würde drinbleiben, bis er's nicht mehr aushielt oder bis das warme Wasser alle war.
    Dann würde er rausgehen und sich abtrocknen und sich in dem Hotelzimmer, das Warbaby für ihn besorgt hatte, 294
    ganz neue, absolut trockene Sachen anziehen. Er würde sich ein paar Club-Sandwiches und einen Eiskübel mit vier oder fünf Flaschen von dem langhalsigen mexikanischen Bier raufbringen lassen, das sie in L.A.
    tranken. Dann würde er sich mit der Fernbedienung in den Sessel hauen und ein bißchen fernsehen. Vielleicht Cops in Schwierigkeiten. Vielleicht würde er sogar Sublett anrufen und ein bißchen mit ihm klönen, ihm von dieser wilden Zeit oben in Nordkalifornien erzählen.
    Sublett machte immer die Nachtschicht, weil er
    lichtempfindlich war, und wenn er heute abend zufällig frei hatte, dann war er noch wach und würde sich seine Filme ansehen.
    »Paß auf, wo du hingehst ...« Sie riß so heftig an seiner Hand mit der Handschelle, daß er beinahe hingefallen wäre. Er war im Begriff gewesen, auf einer Seite eines Pfostens vorbeizugehen, während sie auf der anderen Seite vorbeiging, »'tschuldigung«, sagte er.
    Sie sah ihn nicht an. Aber sie machte auf Rydell
    einfach nicht den Eindruck, als ob sie einem Kerl ein Rasiermesser an die Kehle setzen und ihm die Zunge auf die harte Tour rausholen würde. Obwohl, sie hatte so ein keramisches Messer dabeigehabt, als Swobodow sie durchsucht hatte, außerdem ein Taschentelefon und diese verdammte Brille, hinter der alle her waren. Die sah genauso aus wie die von Warbaby und hatte auch das gleiche Etui. Die Russen waren echt happy darüber, 295
    und jetzt war sie sicher in der Innentasche von
    Swobodows kugelsicherer Weste verstaut.
    Sie hatte auch nicht die richtige Art von Angst, sagte ihm irgendwas immer wieder. Sie strahlte nicht die ständige Furcht aus, die man spätestens am dritten Tag in diesem Job kennenlernte. Ihre Angst war wie die eines Opfers, obwohl sie Orlowsky gegenüber unumwunden zugegeben hatte, daß sie die Brille geklaut hatte. Sie sagte, sie hätte es letzte Nacht auf einer Party oben in dem Hotel getan. Aber keiner der Russen hatte ein Sterbenswörtchen von einem Mordfall erwähnt, auch nicht von einem Blix oder wie der Name des Opfers gelautet hatte. Nicht mal von Diebstahl. Und das Mädchen hatte davon geredet, daß jemand Sammy getötet hätte, wer immer Sammy sein mochte. Vielleicht war Sammy der Deutsche. Die Russen hatten das jedoch einfach auf sich beruhen lassen und Rydell befohlen, den Mund zu halten, und jetzt bekam sie ebenfalls kein Wort mehr heraus, außer um ihn anzumeckern, wenn er im Gehen einschlief.
    Die Brücke erwachte allmählich wieder zum Leben,
    nachdem das Gewitter vorbei war, aber in dieser
    Herrgottsfrühe waren noch nicht besonders viele Leute unterwegs, um die Schäden zu sichten. Hier und dort gingen die Lichter wieder an; ein paar Leute waren zu sehen, die Wasser vom Boden und von irgendwelchen Sachen aufwischten, ein paar Betrunkene und dieser Typ, der aussah, als ob er auf Dancer wäre, der wie ein 296
    Maschinengewehr vor sich hinbrabbelte und ihnen folgte, bis Swobodow seine H&K zog und herumfuhr und ihm erklärte, er würde ihn zu Katzenfutter verarbeiten, wenn er seinen Dancer-Arsch nicht gleich nach Oakland verfrachten

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