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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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mit Shapely bei etlichen ihrer Patienten anscheinend den Krankheitsverlauf umgekehrt hatte. Dann würde Kutniks leidenschaftliche Kündigung kommen, der Flug nach Brasilien mit dem verblüfften Shapely, die großzügige finanzielle Förderung vor dem Hintergrund eines drohenden Bürgerkrieges, und das, was man nur als extrem pragmatisches Forschungsklima bezeichnen konnte.
    Aber es war eine so traurige Story.
    Da war es besser, hier im Kerzenlicht zu sitzen, die Ellbogen auf den Rand von Skinners Tisch gestützt, und dem Lied des Mittelpfeilers zu lauschen.
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Bis zum Hals
    Er sagte in einem fort, er sei aus Tennessee und könne auf diesen Mist verzichten. Sie dachte in einem fort, sie würde draufgehen, so wie er fuhr, oder jedenfalls würden diese Cops hinter ihnen her sein, oder der Kerl, der Sammy erschossen hatte. Sie wußte immer noch nicht, was passiert war, und war das nicht Nigel gewesen, der in diesen Straffgesichtigen reingepflügt war?
    Da er jedoch bei der Querstraße gezögert hatte, die rechts von der Bryant abging, sagte sie ihm, daß er auf der Folsom links abbiegen sollte, denn wenn die Arschlöcher kamen, wollte sie in Haight sein, dachte sie, dem besten Platz, den sie kannte, um unterzutauchen; genau das war es nämlich, was sie vorhatte, und zwar bei der erstbesten Gelegenheit. Und dieser Ford war genau so einer, wie ihn Mr. Matthews fuhr, der das Heim in Beaverton leitete. Und sie hatte versucht, jemanden mit einem Schraubenzieher zu erstechen. So was hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie getan. Und 315
    sie hatte den Computer von diesem Schwarzen ruiniert, dem mit der komischen Frisur. Und dieses Armband an ihrem linken Handgelenk, dessen andere Hälfte an drei Kettengliedern offen rumbaumelte ...
    Er langte hinüber und ergriff die lose Handschelle.
    Machte etwas damit, ohne die Augen von der Straße zu wenden. Er ließ los. Nun war sie zu.
    »Warum hast du das gemacht?«
    »Damit du nicht an irgendwas hängenbleibst und am Ende an den Türgriff oder ein Straßenschild gefesselt bist ...«
    »Nimm sie mir ab.«
    »Kein Schlüssel.«
    Sie rasselte ihm mit dem Ding vor der Nase herum.
    »Nimm sie ab!«
    »Schieb sie in den Ärmel deiner Jacke rauf. Das sind Beretta-Handschellen. Erstklassige Dinger.« Er sagte das, als wäre er irgendwie froh, was zu haben, worüber er reden konnte, und er fuhr auch nicht mehr ganz so wild. Braune Augen. Nicht alt; Anfang zwanzig vielleicht.
    Billige Klamotten, wie Zeug aus dem Supermarkt, alle naß. Hellbraune Haare, zu kurz geschnitten, aber nicht kurz genug. Sie sah, wie ein Muskel an seinem Kiefer arbeitete, als würde er Kaugummi kauen, was er aber nicht tat.
    »Wo fahren wir hin?« fragte sie ihn.
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    »Keine Ahnung, verdammt«, sagte er und gab dem Motor ein bißchen Zunder. »Du hast doch ›links‹ gesagt ...«
    »Wer bist du?«
    Er warf einen Blick zu ihr herüber. »Rydell. Berry Rydell.«
    »Barry?«
    »Berry, mit e. Wie Beere. He, das 's aber 'ne große Straße, verdammt, mit Ampeln und allem ...«
    »Rechts hier.«
    »Okay«, sagte er und zögerte. »Warum?«
    »Haight Ashbury. 'n Haufen Leute, die noch spät nachts auf den Beinen sind, und die Cops gehen da nicht gern hin ...«
    »Kann man den Wagen da loswerden?«
    »Wenn du ihm zwei Sekunden lang den Rücken zudrehst, ist er futsch.«
    »Gibt's da Geldautomaten?«
    »Mh-mh.«
    »Aber hier ist einer ...« Auf den Bordstein rauf, und Scherben von rissigem Sicherheitsglas fielen aus dem Rahmen, wo die Heckscheibe gewesen war. Das hatte sie nicht mal bemerkt.
    Er holte eine triefhaß aussehende Brieftasche aus seiner Gesäßtasche und zog Karten heraus. Drei Stück.
    »Ich muß zusehen, daß ich an 'n bißchen Bargeld rankomme«, sagte er. Er sah sie an. »Wenn du aus dem Wagen springen und abhauen willst«, er zuckte die 317
    Achseln, »dann tu's ruhig.« Dann langte er in seine Jackentasche und holte die Brille und Codes' Telefon heraus, das sie sich geschnappt hatte, als das Licht im Dissidenten ausgegangen war. Sie wußte nämlich von Lowell, daß Leute, die in Schwierigkeiten sind, ein Telefon brauchen, und zwar meistens dringender als alles andere. Er ließ ihr beides in den Schoß fallen, die Brille des Arschlochs und das Telefon. »Deins.«
    Dann stieg er aus, ging zu dem Geldautomaten rüber und fütterte ihn mit den Karten. Sie saß da, sah zu, wie der Automat aus seiner Panzerung herauskam, wie diese Dinger es immer taten, scheu und vorsichtig; seine Kameras kamen ebenfalls

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