Virus (German Edition)
Herforth und sah
ihr zum ersten Mal direkt in die Augen. Das nebelige Grau seiner Augen war nun
das Einzige, was ihnen noch etwas tranceartiges verlieh, während sein Blick erstmals
fokussiert wirkte.
Unvermittelt begann Herforths Herz
schneller zu schlagen. Etwas Geheimnisvolles lag in seinen Augen, das Herforth,
würde sie an dergleichen glauben, nur als übermenschlich hätte beschreiben
können. Geheimnisvoll, machtvoll, übermenschlich und auch – sie konnte das
Gefühl nicht wegwischen – angsteinflößend.
„Und es ist, denke ich, an der Zeit”,
fuhr Somniak schließlich fort, während sich sein Blick in Herforths Kopf zu
bohren schien, „dass Sie dies begreifen. Sie müssen begreifen, dass all dies
Gottes Wille ist. Sie werden daran nichts ändern. Und ich werde es auch nicht.
Nein, Frau Herforth, ich werde Ihnen nicht den Namen dessen verraten, der Gott
bei der Ausführung dieser Apokalypse treu gedient hat.”
Herforth seufzte und erhob sich.
Es hatte definitiv keinen Sinn. Somniak würde ihr nichts verraten, soviel stand
fest. Sie hatte alles versucht, hatte ihm eine faire Chance gegeben, doch der
Killer hatte diese nicht wahrgenommen. Mehr konnte sie nicht für ihn tun. Nicht
für ihn und nicht für seine Menschenrechte. Sie klopfte an die Tür, die
daraufhin von außen aufgeschlossen wurde.
Sie bedeutete dem Uniformierten,
den Verhörraum mit ihr zu verlassen. Vor der Tür wartete ein Mann im dunklen
Anzug. Seine Gesichtszüge waren scharf geschnitten und in der Hand hielt er
einen Aktenkoffer. Es lief Herforth kalt den Rücken hinunter, als sie ihn sah.
Lag tatsächlich Grausamkeit in seinen Zügen oder war es lediglich die Tatsache,
dass sie seine Profession kannte, die sie schaudern ließ?
Der russische Agent nickte ihr zu
und betrat den Verhörraum. Hinter ihm wurde die Tür erneut verschlossen. Er war
nun alleine mit Somniak in dem engen Raum. Herforth ordnete an, die
Videoaufzeichnung zu stoppen. Sie wollte niemals in ihrem Leben ansehen müssen,
was sich nun hinter dieser Tür abspielen würde.
118.
Gegen 20.30 Uhr, also nur knappe
fünfundzwanzig Minuten, nachdem Holger das Gespräch mit Herforth beendet hatte,
landete der taktische Transporthubschrauber der Bundeswehr vom Typ NH-90 am Kloster Dobbertin. An Bord befanden sich neben Debbie, Holger und dem
Piloten fünf Personenschützer des BKA und ein Duzend Soldaten. Wenn dies eine
Falle war, dann möge Gott dem Killer gnädig sein.
Die Soldaten und zwei der
Personenschützer machten sich – bewaffnet mit Sturmgewehren und
Sprengstoffdetektoren – sogleich auf, die Kirche und ihre Umgebung zu sichern,
während die übrigen drei BKA-Beamten gemeinsam mit dem Piloten bei Debbie und
Holger im Hubschrauber blieben. Nur wenige Minuten später landete in geringer
Entfernung ein Sikorsky CH-53 Sea Stallion Hubschrauber der US Navy, der
fünfzehn CIA-Agenten mit sich brachte.
Erfreut stellte Holger fest, dass
die Zusammenarbeit zwischen den deutschen und den amerikanischen Behörden
inzwischen offenbar nicht mehr durch Intrigen und Sabotage behindert wurde.
Effizient unterstützten die CIA-Leute die deutschen Kräfte, und bereits nach
wenigen Minuten wurden Zeichen gegeben, die Kirche sei gesichert.
„Wonach genau suchen wir denn?”
fragte Debbie, nachdem sie und Holger den imposanten Bau aus dem 13.
Jahrhundert betreten hatten – im Übrigen, wie Holger von einem früheren Besuch
wusste, der einzige zweitürmige Kirchenbau Mecklenburgs.
„Ich weiß es nicht”, erwiderte
Holger. „Nach irgendetwas Auffälligem. Irgendetwas, das nicht hierher gehört.
Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich diese Kirche nicht verlassen werde,
bevor wir es gefunden haben.”
„Kein Grund, gleich so präzise zu
werden”, sagte Debbie mit sarkastischem Unterton.
„‘tschuldigung. Ich halte einfach
nichts von schwammigen Formulierungen.”
Über eine Dreiviertelstunde lang
durchsuchten sie jeden Winkel der Kirche ohne den geringsten Erfolg. Nichts
deutete auch nur darauf hin, dass Somniak überhaupt hier gewesen war,
geschweige denn auf seinen Komplizen.
Zum wiederholten Mal stand Holger
nun vor dem Altar und blickte auf das eindrucksvolle, dreigeteilte Altarbild im
vergoldeten gotischen Rahmen. Das mittlere Bild zeigte die Kreuzigung mit dem
leidenden Jesus am Kreuz, links von ihm seine Mutter Maria, rechts von ihm
seinen Apostel Johannes und vor ihm kniend Maria-Magdalena. Auf dem oberen Ende
des Kreuzes befand sich wie üblich die
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