Virus (German Edition)
studierte.
Wer war das nun schon
wieder? Wegmann hatte sie noch nie gesehen. Sie war nicht unattraktiv, gab sich
allerdings offenbar alle Mühe, jeden Hinweis darauf gut zu verbergen. Ihre
dunklen Haare hatte sie eng und streng nach hinten gebunden, der graue
Hosenanzug war modisch, aber bieder. Einzig ihre feinen Gesichtszüge ließen
darauf schließen, dass sich hinter dieser Fassade eine hübsche Frau verbarg.
Bruncke blickte von
der Akte hoch.
„Sehr löblich”, sagte
er in einem eiskalten Tonfall, „dass Sie diese ganzen abgeschlossenen Fälle neu
aufrollen. Es kann immer sein, dass man mal etwas übersehen hat.”
„Und komplett neue
Fälle konstruieren Sie offenbar auch”, mischte sich die Frau an der Magnetwand
ein. Ihr Tonfall war nahezu sarkastisch. „Ich nehme an, damit Sie nicht aus der
Übung kommen, wenn gerade nicht so viel anliegt?”
Was ging hier vor?
Was wollten die beiden von ihm? Waren Sie nur gekommen, um sich über ihn lustig
zu machen? Was bildete sich diese Kuh ein? Er stand noch immer in der Tür
seines Büros und war vor lauter Staunen noch nicht einmal dazu gekommen, diese
zu schließen.
„Herr Wegmann, darf
ich Ihnen Frau Milla Herforth vorstellen?” ließ Bruncke seinen Sarkasmus
fallen. „Sie ist vom BKA und wird der Mordkommission ‚G8’ ab heute vorstehen.
Auch hat sie einige Spezialisten aus Wiesbaden mitgebracht.”
Herforth kam auf
Wegmann zu und schüttelte ihm die Hand. Sie blickte ihm dabei tief in die
Augen, ihre Mundwinkel verzogen sich jedoch kein My nach oben. Herzlichkeit
schien ihr fremd. Wegmann stand noch immer wie angewurzelt da und versuchte,
seine Gedanken zu ordnen. Was passierte hier? Das BKA übernahm den Fall. Okay,
das war doch eigentlich gut. Er selbst würde weniger zu tun haben und wenn er
nicht mehr an dem Fall arbeitete, war es ausgeschlossen, dass er Fehler machte,
die Bruncke Grund geben könnten, seine Drohung vom Vorabend wahr zu machen.
Eigentlich nicht schlecht. Implizit sagte die Übernahme des BKA natürlich aus,
dass man ihm die Lösung des Falls nicht zutraute, aber musste ihn das stören? Wenn
der Gipfel erst vorüber war, würde sowieso wieder alles in seinen gewohnten
Trott zurückfallen. Vom BKA würde sich nie wieder jemand in Rostock blicken
lassen und er würde seiner Arbeit so nachgehen, wie er es in den letzten Jahren
gemacht hatte.
Im Prinzip war alles
in Ordnung. Seine Anspannung löste sich langsam und er schloss die Tür hinter
sich.
„Angenehm, Frau
Herforth”, sagte er schließlich, lange nachdem sie den Handschlag beendet
hatte.
Herforth trat ans
Fenster und blickte hinaus auf die Massen der Reporter. Selbst durch die
geschlossenen Fenster drang der Lautstärkepegel, den sie produzierten, bis hoch
in Wegmanns Büro.
„Ich möchte
klarstellen”, hob sie mit ernster Miene, und ohne Wegmann anzugucken, an, „dass
ich keinerlei Einmischung in meine Entscheidungen dulde. Sie sind es gewohnt,
der Chef zu sein, aber von nun an tun Sie exakt das, worum ich Sie bitte. Ist
das klar?”
Was? Hatte man
ihm nicht gerade den Fall entzogen? Worum sollte sie ihn denn da noch bitten?
Kaffee zu kochen?
„Ich verstehe nicht”,
erwiderte er. „Sie haben mir den Fall doch soeben entzogen. Was soll ich denn
da noch…”
„Niemand hat Ihnen
den Fall entzogen”, fiel ihm Bruncke ins Wort. „Sie werden weiter an dem Fall
arbeiten. Nur nicht mehr als leitender Ermittler, sondern Frau Herforth
untergeordnet.”
So war das also. Man
hatte ihm nicht den Fall entzogen, sondern lediglich seine Kompetenzen. Man
versuchte ihn auszubooten, man wollte ihn demontieren. Er fühlte es. In
neunundneunzig von hundert Fällen hätte er sich gefreut. Weniger Arbeit. Keine
Verantwortung mehr. Aber das hier war anders. Hier ging es um seine Existenz.
Die wollten ihm an den Kragen. Und viel mehr noch sollte er sich jetzt von
einer Frau rumkommandieren lassen, die, um allem die Krone aufzusetzen, auch
noch geschätzte fünfzehn Jahre jünger war als er.
Kalter Schweiß trat
ihm auf die Stirn. Er wischte sich mit seinem Hemdsärmel über dieselbe und
verfluchte sich im gleichen Moment dafür.
Zeig ihnen
keine Schwäche, mann!
„Ich frage Sie noch
einmal: Ist Ihnen klar, dass Sie exakt das tun werden, worum ich sie bitte?”
wiederholte Herforth ihre Frage.
Wegmann wäre ihr am
liebsten an die Gurgel gesprungen, hätte sie gewürgt, hätte ihr gezeigt, wer
hier das Sagen hat. In seinem eigenen Büro wurde er von dieser
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