Virus (German Edition)
über
keinerlei kriminalistische Erfahrung, über keine Labortechnik und noch nicht
einmal über etwas, was sie in einem Labor hätte untersuchen können. Bei CSI
fanden die Ermittler immer alles im Labor heraus. Sie würde Zeugen befragen können,
doch da sie selbst Zeugin gewesen war, hegte sie kaum Hoffnung, etwas zu
erfahren, das sie nicht selbst gesehen hatte. Außerdem war sie ganz alleine.
Niemand würde ihr helfen. Bei CSI arbeiteten sie immer im Team und trotzdem
hatten sie zumeist größte Mühe, die Fälle aufzuklären. Mit Bobby würde sie
zumindest Gedanken austauschen können, aber der war siebentausend Kilometer
entfernt und aufgrund der Zeitverschiebung im Moment mit Sicherheit im Bett.
Eine allzu große Hilfe würde auch er nicht sein.
Sie hatte keine
Ahnung, wo sie ansetzen sollte, was sie zunächst tun sollte. Einfach mal zum
Kongresszentrum zurückgehen? Vielleicht konnte sie sich dort noch einmal
ungestört umsehen?
Ganz gleich, was sie
tun würde, sie würde Kraft brauchen. Der Tag würde mit Sicherheit anstrengend
werden und sie brauchte ein gutes Frühstück. Allerdings bekam sie kaum etwas
runter. Das Buffet war reichlich und gut. Debbie hatte sich von allem ein wenig
genommen in der Hoffnung, beim Probieren etwas zu finden, was sie vertrug. Sie
vertrug alles, doch das Problem bestand darin, dass sie nur äußerst geringe
Mengen an dem überdimensionalen Kloß in ihrem Hals vorbeischleusen konnte.
Zumindest Flüssiges
bekam sie gut hinunter und der heiße Kaffee tat ihr gut.
„Hallo Debbie”, hörte
sie plötzlich eine Männerstimme mit französischem Akzent neben sich sagen. Sie
blickte auf und in das Gesicht des frankokanadischen Virologen Marcel Trébor.
„Hallo Marcel”,
antwortete sie.
Trébor war um die
vierzig, hatte mittellange, leicht gewellte Haare, die an der Seite schludrig
gescheitelt waren, und trug eine Hornbrille. Er hatte sich zwar der Umgebung
angemessen in einen Anzug gekleidet, der allerdings wies etliche Falten auf und
das Hemd war eher achtlos in die Hose gesteckt. Trébor kam dem prototypischen,
zerstreuten Wissenschaftler ziemlich nahe, doch Debbie wusste auch, dass er
ganz bewusst mit diesem Image kokettierte und es pflegte. Sein Erfolg bei der
Damenwelt gab ihm Recht. Es hätte Debbie nicht einmal gewundert, wenn er die
Falten selbst in den Anzug gebügelt hätte, aber wahrscheinlich war das nicht
nötig gewesen.
Sie mochte ihn, er
war ein sympathischer Kollege.
„Willst du dich zu
mir setzen?” fragte sie und deutete auf den leeren Stuhl ihr gegenüber.
Trébor nahm Platz und
bestellte bei der heraneilenden Bedienung einen Kaffee.
„Das mit Meng Hong
tut mir furchtbar leid, Debbie”, begann er stockend. Sichtlich handelte es sich
um etwas, was er sich zu sagen verpflichtet fühlte, aber lieber umgangen hätte.
„Danke”, erlöste
Debbie ihn, bevor er fortfahren konnte. „Ich denke, für dich war es auch nicht
gerade angenehm, das mit anzusehen.”
Die Bedienung brachte
Trébors Kaffee.
„Ja. Und jetzt die
Geschichte mit Sam”, wechselte er erleichtert das Thema.
„Sam Dickinson? Was
ist denn mit ihr?” fragte Debbie.
„Du hast davon noch
nichts gehört?” Trébor seufzte und nahm einen Schluck von seinem Kaffee. „Es
geht das Gerücht um, dass sie ebenfalls tot ist.”
„Was?” Debbie war
fassungslos. „Aber wie… wann… woher weißt du davon?” stammelte sie.
„Es ist nur ein Gerücht”,
erwiderte Trébor. „Ich weiß nichts Genaues. Aber heute Morgen waren
Polizeibeamte hier im Hotel und haben nach ihr gesucht. Professor Menzeguez hat
sogar gesehen, wie ein Beamter in Sams Zimmer gegangen ist. Wieder jemand
anderes, ich weiß nicht wer, ich habe nur davon gehört, hat von seinem Fenster
aus gesehen, dass es eine größere Ansammlung von Polizisten am Strand gegeben
hat, und da war wohl auch eine Frauenleiche. Jedenfalls geht jetzt das Gerücht
um, dass Sam letzte Nacht ertrunken ist.”
Debbie konnte nichts
erwidern. Mit offenem Mund saß sie Trébor gegenüber, während ihr Fragen über
Fragen durch den Kopf schossen. Wer bitteschön ging um diese Jahreszeit in der
Ostsee baden? Wurde der Strand nicht von der Polizei überwacht? Gab es einen
Zusammenhang zwischen den Todesfällen? Handelte es sich womöglich auch bei Sam
um Mord? War dies der Anfang einer Mordserie? Waren alle wissenschaftlichen
Gipfelteilnehmer jetzt in Gefahr? Auch sie? Gab es weitere Übereinstimmungen
mit dem Mord vom Vortag?
„Hat man bei
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