Virus (German Edition)
Karrierekuh
rundgemacht. Wenigstens anschreien wollte er sie, beleidigen, erniedrigen. Er
blickte Bruncke an und wusste sofort, dass er sich auf keine offene
Auseinandersetzung mit Herforth würde einlassen dürfen. Sein Kampf gegen sie
musste subtiler verlaufen, geplanter, geschickter. Sie wollte ihn ausbooten? Er
würde sie ausbooten. Seine Zeit würde kommen. Dieser Kampf verlangte nach
Geduld.
Er nickte.
„Sie haben das Foto
in der Zeitung gesehen?” fragte Herforth. Wegmann nickte erneut.
„Wie konnte eine
Bilddatei das Kongresszentrum verlassen?” fragte sie weiter.
Das war die Höhe.
Jetzt wollten sie ihm Dinge in die Schuhe schieben, für die er nicht im Geringsten
verantwortlich war. Was hatte die Rostocker Kriminalpolizei mit den
Leibesvisitationen am Ausgang des Kongresszentrums zu tun gehabt?
„Das fiel nicht in
unseren Zuständigkeitsbereich”, setzte er an. „Wir hatten damit nichts…”
Herforth ließ ihn
nicht ausreden. Noch immer stand sie am Fenster.
„Ich werde Sie sehr
genau im Auge behalten Wegmann. Ich möchte keine weiteren Fehler von Ihnen
sehen”, sagte sie scharf.
Bruncke hatte es sich
inzwischen auf Wegmanns Bürostuhl bequem gemacht und folgte dem Dialog der
beiden mit kaum verstecktem Vergnügen. Wegmann stand noch immer in der Mitte
des Raums, völlig entmachtet. Nicht einmal einen Stuhl hatte man ihm angeboten
in seinem eigenen Büro.
Man versuchte ihn
auszubooten. Man wollte ihn unter Druck setzen und zu Fehlern zwingen. Was
wusste das BKA über seine Arbeitsweisen? Hatte man ihn schon vor diesem Fall im
Visier gehabt? Er würde kämpfen müssen. Er würde kämpfen müssen wie ein Löwe.
„Die Rechtsmedizin
hat angerufen”, sagte Herforth dann in einem weit sachlicheren, weniger
scharfen Tonfall und wandte sich ihm zu. „Die Obduktion von Professor Dickinson
ist natürlich noch nicht abgeschlossen, aber es gibt wohl schon ein Detail, das
der Obduzent uns mitteilen möchte, jedoch nicht am Telefon. Ich habe keine
Zeit, mich um solche Kleinigkeiten zu kümmern. Fahren Sie bitte hin, Wegmann.”
Wegmann stand weiter
wie angewurzelt da. Die unwichtigen Details abarbeiten, das war jetzt seine
Aufgabe. Vom Chef zum Laufburschen, vom Millionär zum Tellerwäscher, vom Stürmerstar
zum Wasserträger. Das Ganze in fünf Minuten. Reife Leistung.
„Jetzt”, fügte
Herforth streng hinzu.
Es hatte keinen Wert.
Er musste gehen. Seine Zeit würde kommen. Ganz sicher. Er würde ihr alles
zurückzahlen, Cent um Cent. Aber um im Spiel zu bleiben und irgendwann eine
Chance dazu zu erhalten, musste er jetzt klein beigeben. Er musste jetzt auf
die Zähne beißen. Den Blick nach unten gerichtet verließ er sein Büro ohne ein
weiteres Wort.
27.
Eine zweite Leiche.
Wieder aus dem Bereich der Epidemiologie. Debbie konnte es noch nicht ganz
fassen. Sie hatte Sam von zahlreichen Kongressen her gekannt, auf denen man
sich getroffen hatte. Zwar waren Epidemiologie und Virologie zwei völlig
unterschiedliche Forschungsgebiete, doch es gab Schnittmengen, und auf Tagungen
waren nicht selten Vertreter beider Fachrichtungen zugegen.
Würde die Polizei
jetzt endlich ermitteln? Würde sie einen Zusammenhang zwischen den Fällen
herstellen können? Würde Sams Tod somit dazu führen, dass endlich auch in Bezug
auf Meng Hongs Tod ermittelt werden würde?
Debbies Gedanken
rasten so wild, dass sie alle anderen Sinne zu betäuben schienen. Fast als steuere
nicht mehr das zentrale, sondern das periphere Nervensystem ihr Tun, schritt
sie durch die Hotellobby, ohne irgendetwas wahrzunehmen. Der dicke blaue
Teppichboden schien jetzt nicht mehr nur einen Großteil, sondern alle Geräusche
zu schlucken, mit Ausnahme eines pochenden Rauschens in ihren Ohren, das alles
andere sowieso übertönt hätte. War es das Rauschen ihrer Gedanken?
Sie stolperte auf die
große Drehtür zu und merkte plötzlich, dass sie etwas gesehen, aber nicht
registriert hatte. Etwas Wichtiges. Ihre Augen hatten einen Reiz wahrgenommen,
ihn über den Sehnerv zum Sehzentrum weitergeleitet, doch irgendwie musste er im
Unterbewusstsein verschwunden sein, ohne ihr Bewusstsein zu passieren.
Immerhin wusste
Debbie, dass sie etwas Wichtiges, etwas Störendes, etwas Auffälliges
wahrgenommen hatte, und es riss sie aus ihrem tranceähnlichen Zustand. Sie
machte eine volle Runde durch die Drehtür und stand wieder in der Lobby. Was
hatte sie gesehen? Was konnte man in einer Hotellobby schon Wichtiges
wahrnehmen? Was hatte die Kraft
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