Virus
Dubchek ergeben könne. Er war einige Tage nach ihrem gemeinsamen Abendessen im Beverly Hilton abgereist, und die vorhergehenden Zusammentreffen in der Richter-Klinik waren immer knapp und gezwungen gewesen.
Während das Taxi ihre Straße entlangfuhr, schaute sie nach den erleuchteten Fenstern, und angesichts des gemütlichen Familienlebens, das sie dort sehen oder ahnen konnte, überkam sie ein Gefühl der Einsamkeit.
Nachdem sie den Taxifahrer bezahlt und die Alarmanlage ausgeschaltet hatte, eilte Marissa zu den Judsons hinüber, um dort Taffy und die in fünf Wochen angehäufte Post abzuholen. Der Hund war verrückt vor Freude, sie wiederzusehen, und die Judsons waren von überströmender Herzlichkeit. Statt ein Schuldgefühl über ihre so lange Abwesenheit in Marissa aufkommen zu lassen, schienen sie wirklich traurig darüber, Taffy jetzt wieder hergeben zu müssen.
In ihr Häuschen zurückgekehrt, drehte Marissa zunächst einmal die Heizung weiter auf. Daß sie den Hund hier hatte, machte schon einen Unterschied. Er würde an ihrer Seitebleiben und wieder ihre fast ständige Aufmerksamkeit beanspruchen.
Sie dachte ans Abendessen, machte den Kühlschrank auf und mußte feststellen, daß einiges darin verdorben war. Sie schlug die Tür wieder zu mit dem Vorsatz, ihn am nächsten Tag in Ordnung zu bringen, und begnügte sich, während sie die Post durchsah, mit ein bißchen Gebäck und Cola, was sie noch gefunden hatte. Abgesehen von einer Karte, die ihr einer ihrer Brüder geschickt hatte, und einem Brief ihrer Eltern handelte es sich meist um Angebote von Arzneimitteln und ähnlichen Kram.
Marissa wurde aufgeschreckt durch das Klingeln des Telefons, aber als sie den Hörer abhob und Tads Stimme vernahm, die sie wieder in Atlanta willkommen hieß, freute sie das. »Wie wär’s, wenn wir irgendwo einen Schluck nehmen?« fragte er. »Ich setze mich gleich ins Auto und hole dich ab.«
Zunächst wollte Marissa ablehnen, weil sie von der Reise doch recht erschöpft sei, aber dann fiel ihr ein, daß er ihr beim letzten Telefongespräch aus Los Angeles gesagt hatte, er hätte sein AIDS-Projekt abgeschlossen und sei nun mit Nachdruck beschäftigt mit »ihrem Ebola-Virus«, wie er ihn nannte. Dabei fühlte sie sich gleich weniger müde und fragte ihn, wie es denn inzwischen mit den diesbezüglichen Tests stehe.
»Prächtig!« antwortete Tad. »Das Zeug wächst wie wild in den speziellen Gewebekulturen. Der morphologische Teil der Untersuchung ist bereits abgeschlossen, und mit der Proteinanalyse habe ich auch schon angefangen.«
»Es würde mich wirklich interessieren, sehen zu können, wie das bei dir läuft«, sagte Marissa.
»Ich würde dir gerne soviel wie nur irgend möglich zeigen«, gab Tad zurück. »Aber leider spielt sich ja das meiste im Hochsicherheitslaboratorium ab.«
»Das habe ich mir schon gedacht«, meinte Marissa. Sie wußte ja, daß die einzige Möglichkeit des Umgangs miteinem derart tödlichen Virus darin bestand, die notwendigen Arbeiten in einem Laboratorium durchzuführen, das höchstmögliche Abschirmung gegen eine Verbreitung der betreffenden Mikroorganismen sicherte. Ihres Wissens gab es auf der ganzen Welt nur vier solcher Laboratorien – dieses hier am Seuchenkontrollzentrum, eines in England, eines in Belgien und eines in der Sowjetunion. Sie hätte nicht sagen können, ob das Pasteur-Institut in Paris über eines verfügte oder nicht. Aus Sicherheitsgründen war das Betreten nur ganz wenigen berechtigten Personen vorbehalten – und Marissa gehörte im Augenblick nicht dazu. Aber trotzdem sagte sie zu Tad, nachdem sie nun Zeuge der tödlichen Macht des Ebola-Virus geworden sei, brenne sie darauf, seine Arbeit persönlich in Augenschein zu nehmen.
»Aber du hast doch keine Zugangsberechtigung dafür«, wandte Tad ein, überrascht durch ihr ihm naiv erscheinendes Verhalten.
»Weiß ich ja«, gab Marissa zu. »Aber was soll denn daran so schlimm sein, wenn du mir gleich jetzt mal zeigst, was du dort im Laboratorium so anstellst mit dem Ebola-Virus, und wir uns dann einen Schluck irgendwo genehmigen. Schließlich ist’s schon reichlich spät. Das merkt doch niemand, wenn du mich jetzt gleich abholst.«
Nach einer nachdenklichen Pause meinte Tad gequält: »Aber das ist doch gegen die Vorschriften …«
Marissa war sich voll bewußt, daß sie ihren Einfluß auf Tad auszunutzen versuchte, aber sie war überzeugt davon, daß es für niemanden gefährlich sein könne, wenn sie mit
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