Virus
Handbewegung, als ob sie es aufgeben wolle.
»Sie können aber doch immerhin froh sein, daß Sie den Virus so weit unter Kontrolle bekamen, wie das der Fall war. Soweit ich weiß, war das doch viel schlimmer, als damals dieser Virus in Afrika erstmals auftrat.«
»Das stimmt natürlich«, räumte Marissa ein. »Beim Ausbruch der Seuche seinerzeit in Zaire 1976, dessen Auslösefall ein amerikanischer Student gewesen sein könnte, gab es dreihundertachtzehn Krankheitsfälle, wovon zweihundertachtzig tödlich verliefen.«
»Das ist doch schon was«, meinte Ralph und hoffte, daß diese Statistiken Marissa aufheitern könnten. Er faltete seine Serviette zusammen und legte sie auf den Tisch. »Wie wär’s, wenn wir noch kurz bei mir zu Hause auf einen Nachtrunk vorbeifahren?«
Marissa schaute Ralph an und war erstaunt darüber, wie vertraut sie inzwischen mit ihm war. Das Überraschende dabei war, daß sich das über das Telefon entwickelt hatte. »Nachtrunk klingt verlockend«, sagte sie lächelnd.
Auf dem Weg vom Restaurant zum Parkplatz hing sich Marissa bei Ralph ein. Als sie zu seinem Wagen kamen, öffnete er ihr höflich die Tür. Sie fand, daß sie sich an eine solche Behandlung sicher gerne gewöhnen würde.
Ralph war stolz auf sein Auto – das konnte man daran spüren, wie er liebevoll das Lenkrad umfaßte und nach den verschiedenen Bedienungsknöpfen griff. Es war ein neuer Mercedes 300 SDL. Marissa genoß zwar den Luxus, als sie sich im lederbezogenen Sitz räkelte, aber Autos hatten ansonsten nie besondere Bedeutung für sie gehabt. Sie konnte auch nicht verstehen, warum die Leute sich einen Diesel kauften, wenn die doch beim Anlassen so unangenehm rüttelten und nagelten. »Sie sind eben sehr wirtschaftlich«, sagte Ralph. Sie wunderte sich darüber, daß jemand sich einreden konnte, ein derart teurer Mercedes sei wirtschaftlich. Sie schwiegen für eine Weile, und Marissa begann sich zu fragen, ob das tatsächlich eine so gute Idee sei, um diese Zeit noch mit Ralph nach Hause zu fahren. Aber sie hatte Vertrauen zu Ralph und hatte auch nichts dagegen, daß sich ihre Bekanntschaft etwas vertiefte. Sie wandte sich ihm zu, um ihn im Halbdunkel zu betrachten. Er hatte ein eindrucksvolles Profil mit einer kräftigen Nase, wie ihr Vater.
Als sie dann im Wohnzimmer auf der Couch saßen, jeder einen Cognacschwenker in der Hand, kam Marissa auf einen Punkt zurück, den sie angesichts Dubcheks herablassender Haltung in letzter Zeit diesem gegenüber nicht hatte zur Sprache bringen wollen. »Da gibt es etwas Eigenartiges, was den beiden Auslösefällen gemeinsam ist. Beide Männer wurden wenige Tage vor Ausbruch ihrer Erkrankung überfallen und beraubt.« Marissa wartete auf eine Antwort.
»Sehr verdächtig«, sagte Ralph augenzwinkernd. »Glauben Sie, daß es so etwas wie eine ›Ebola-Mary‹ gibt, die die Leute ausraubt und Krankheitskeime ausstreut?«
Marissa lachte. »Ich weiß, das das blöd klingt. Daher habe ich ja auch bisher mit niemandem darüber gesprochen.«
»Aber Sie müssen natürlich an alles denken«, fügte Ralph hinzu. »Die gute alte medizinische Schulausbildung, die Ihnen beibrachte, nach grundsätzlich allem zu fragen, einschließlich der Lebensumstände des Urgroßvaters mütterlicherseits drüben in der alten Heimat.«
Bewußt wechselte Marissa jetzt das Thema und brachte das Gespräch auf Ralphs Arbeit und sein Haus, seine beiden bevorzugten Interessengebiete. Als die Zeit fortschritt, fand sie es merkwürdig, daß er keinerlei Annäherungsversuche unternahm. Sie fragte sich, ob das etwas mit ihr zu tun hätte – zum Beispiel mit der Tatsache, daß sie dem Ebola-Virus ausgesetzt gewesen war. Dann lud er sie, um alles noch schlimmer zu machen, ein, die Nacht im Gästezimmer zu verbringen.
Marissa fühlte sich verletzt – schlimmer vielleicht, als wenn er versucht hätte, sie gleich an der Eingangstür auszuziehen.
Sie bedankte sich also und lehnte sein Angebot ab; sie würde lieber die Nacht in ihrem eigenen Haus zusammen mit ihrem Hund verbringen. Das letzte war durchaus als Spitze gemeint, aber Ralph schien sie nicht zu bemerken. Er erzählte ungerührt weiter von Umbauplänen am Haus,nachdem er jetzt lange genug darin wohne, um zu wissen, was er brauche.
In Wirklichkeit war Marissa nicht klar, was sie wohl gemacht hätte, wenn Ralph zudringlich geworden wäre. Er war ein guter Freund, aber als Liebhaber fand sie ihn eigentlich weiterhin nicht sonderlich attraktiv. In dieser
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