Virus
bereitwilligst dieser Anweisung. Als sie den Raum betrat, stellte sie fest, daß Dr. Rand gerade mit der Arbeit begann. Er blickte von dem Tisch mit furchterregenden Instrumenten auf. Dr. Zabriskis Leiche war noch von einem weiten durchsichtigen Plastiksack umhüllt. Sie war im oberen Teil von fahlem Weiß, im unteren purpurrot.
»Hallo«, sagte Marissa strahlend. Sie fand, daß sie genausogut fröhlich sein konnte. Als sie ohne Antwort blieb, gab sie die Anforderungen des Seuchenkontrollzentrums weiter an den Pathologen, der die Proben zu liefern versprach. Marissa empfahl dann, Schutzbrillen anzulegen. »In einer Reihe von Fällen sowohl hier als auch in Los Angeles fand die Ansteckung offenbar über die Bindehaut statt«, erläuterte sie.
Dr. Rand grunzte und verschwand wortlos. Als er wiederkam, hatte er eine Plastikbrille auf und reichte auch Marissa eine.
»Noch etwas anderes«, fügte Marissa hinzu. »Das Seuchenkontrollzentrum empfiehlt, in solchen Fällen auf die Benutzung von Elektrosägen zu verzichten, weil sie mit erheblicher Aerosolbildung verbunden ist.«
»Ich hatte keineswegs die Absicht, irgendwelche elektrischen Werkzeuge zu verwenden«, sagte Dr. Rand. »Auch wenn Sie das erstaunlich finden sollten: ich habe während meines Berufslebens durchaus schon mit ansteckenden Fällen zu tun gehabt.«
»Dann muß ich Sie ja sicher auch nicht davor warnen, sich in den Finger zu schneiden. Immerhin starb ein Pathologe am viralen hämorrhagischen Fieber, nachdem ihm das passiert war.«
»Ich erinnere mich«, gab Dr. Rand zurück, »Lassa-Fieber. Haben Sie noch weitere ersprießliche Vorschläge auf Lager?«
»Nein«, sagte Marissa. Der Pathologe schnitt den Plastiksack auf und legte Dr. Zabriskis Leiche frei. Marissa schwankte, ob sie gehen oder bleiben sollte. Ihre Unentschlossenheit führte zur Untätigkeit, also blieb sie.
Dr. Rand sprach in ein von der Decke herabhängendes Mikrophon, das er mit einer Fußtaste bediente, und begann mit der Beschreibung der äußerlich an der Leiche feststellbaren Besonderheiten. Seine Stimme hatte diesen besonderen monotonen Tonfall angenommen, den Marissa aus ihrer medizinischen Ausbildung kannte. Sie wurde jäh in die Gegenwart zurückgeholt, als sie hörte, wie Dr. Rand eine vernähte Kopfplatzwunde erwähnte. Das war etwas Neues. Davon war nichts in den Krankenblättern notiert gewesen, genausowenig von der Schnittwunde am rechten Ellbogen und dem kleinen kreisrunden Bluterguß am rechten Oberschenkel etwa von der Größe eines Vierteldollars.
»Sind diese kleinen Verletzungen vor oder nach dem Tode erfolgt?« fragte Marissa.
»Vorher«, antwortete Dr. Rand und machte keinen Versuch, seinen Ärger über die Unterbrechung zu verbergen.
»Wie alt, meinen Sie, könnten sie wohl sein?« sagte Marissa und kümmerte sich nicht über seinen grantigen Ton. Sie beugte sich über die Leiche, um sich die Verletzungen genauer anzusehen.
»Etwa eine Woche, würde ich sagen«, gab Dr. Rand zur Antwort. »Ein paar Tage mehr oder weniger. Wir könnten das aufgrund mikroskopischer Untersuchungen genauer sagen. Allerdings kann ich mir angesichts des Zustands des Patienten kaum vorstellen, daß das irgendwie wichtig ist. Und jetzt würde ich gerne, wenn Sie nichts dagegen haben, mit meiner Arbeit fortfahren.«
Gezwungen, von der Leiche zurückzutreten, dachte Marissa darüber nach, wie es wohl zu diesen Verletzungen gekommen sein konnte. Vielleicht gab es eine ganz einfacheBegründung; Dr. Zabriski konnte zum Beispiel beim Tennisspielen gestürzt sein. Was sie beunruhigte, war die Tatsache, daß diese Verletzungen nicht auf dem Krankenblatt des Patienten vermerkt worden waren. Dort, wo Marissa ihr Handwerk gelernt hatte, wäre jede Besonderheit dieser Art in die Unterlagen eingetragen worden.
Sobald der Pathologe seine Arbeit beendet und Marissa sich davon überzeugt hatte, daß er sich auch um die angeforderten Gewebeproben kümmerte, beschloß sie, der Ursache für diese Verletzungen auf die Spur zu kommen.
Sie benutzte das Telefon in der Pathologieabteilung, um Judith zu erreichen, aber ohne Erfolg. Da es ihr widerstrebte, sich mit Mrs. Zabriski in Verbindung zu setzen, dachte sie zunächst daran, Dr. Taboso anzusprechen, entschied sich aber dann dafür, mit Dr. Zabriskis Büro Kontakt aufzunehmen, da ihr einfiel, daß das ja hier im Hause sein müsse. Sie machte es ausfindig und fand dort Judith hinter ihrem Schreibtisch.
Judith war eine zierliche junge Frau etwa
Weitere Kostenlose Bücher