Visionen Der Nacht: Der Geheime Bund
den Lippen.
Und er sah – gut aus. Erfrischt. Überhaupt nicht mehr müde.
Kaitlyn beschlich ein beklemmendes Gefühl, doch sie wischte es weg, ehe einer der anderen es mitbekam. Natürlich ging es Gabriel gut. Was war schon dabei – immerhin hatte er sich ausruhen können.
»Es wird hell«, sagte Gabriel. »Ich habe mich umgesehen. Nichts los da draußen. Keine Bullen, nichts. Wenn wir hier wegwollen, dann am besten jetzt.«
»Okay«, sagte Rob. »Aber setz dich noch kurz zu
uns. Wir müssen uns überlegen, was wir als Nächstes tun. Und wir müssen dir erzählen, was wir heute Nacht erlebt haben.«
»Ist was passiert?« Gabriel sah von einem zum andern. »Ich war … nur ein paar Minuten weg.«
»Nein, nein, es war nur ein Traum«, sagte Kaitlyn, die Mühe hatte, ihr Misstrauen zu unterdrücken. Gabriel hatte zwischen »Ich war« und »nur ein paar Minuten weg« kurz gezögert. Er log. Über das Netz war es nicht zu spüren, aber sie wusste es.
Wo war er gewesen?
Rob erzählte ihm von dem Traum. Gabriel hörte sich mit einer belustigten, leicht verächtlichen Miene die ganze Geschichte an.
»Wenn ihr wirklich da hinwollt, soll es mir recht sein«, sagte er, als Rob fertig war. Seine wohlgeformten Lippen kräuselten sich spöttisch. »Ich will nur möglichst weit von der kalifornischen Jugendbehörde weg. «
»Na gut«, sagte Rob. »Dann sollten wir uns mal überlegen, was wir eigentlich an Geld haben.« Er grinste reumütig. »Leider besitze ich nur meine Brieftasche und die Akten hier.«
Erst jetzt wurde Kaitlyn bewusst, dass weder Rob noch Gabriel ihre Reisetaschen dabeihatten. Sie mussten sie im Kampf mit Mr. Zetes verloren haben.
»Ich habe meine Reisetasche und in meiner Hosentasche
sind hundert Dollar.« Kaitlyn sah zur Sicherheit noch einmal nach. »Und vielleicht noch fünfzehn Dollar im Geldbeutel.«
»Ich habe auch meine Reisetasche «, erklärte Lewis. »Aber ich glaube nicht, dass meine Kleider einem von euch beiden passen werden.« Er sah Rob und Gabriel zweifelnd an – beide waren gut zehn Zentimeter größer als er. »Und ungefähr vierzig Dollar. «
»Ich habe nur ein paar Dollar Kleingeld«, sagte Anna. »Und meine Tasche mit den Kleidern.«
»Und ich habe, hm, zwölfeinhalb Dollar«, seufzte Rob beim Blick in seinen Geldbeutel.
»Mannomann, das sind insgesamt nur um die hundertfünfzig Dollar. Erinnert mich daran, dass ich nie wieder mit euch durchbrenne«, rief Lewis.
»Das reicht nicht einmal für Busfahrkarten, und essen müssen wir ja auch«, sagte Rob. »Dazu kommt, dass wir gar kein bestimmtes Ziel haben. Wir wissen ja noch nicht, wo wir genau hinmüssen. Gabriel, wie viel …«
Gabriel war sichtbar ungeduldig hin und her gerutscht. »Ich habe etwa neunzig Dollar«, sagte er kurz, ohne zu erwähnen, dass er das Geld aus Joyce’ Portemonnaie genommen hatte. »Aber wir brauchen keine Busfahrkarten«, fügte er hinzu. »Ich habe mich darum gekümmert. Wir haben ein Fahrzeug.«
»Wie bitte?«
Gabriel zuckte die Schultern, stand auf und wischte sich den Schmutz von den Kleidern. »Ich habe uns ein Auto besorgt. Habe es kurzgeschlossen. Es steht auf der Straße bereit. Wenn wir also mit der Unterredung fertig sind… «
Kaitlyn schlug die Hände vorm Gesicht zusammen. »Oh Gott. «
Sie konnte die Empörung neben sich körperlich spüren. Schon stand Rob auf und baute sich drohend vor Gabriel auf. Er schäumte vor Zorn.
»Du hast was gemacht?«, fragte er.
KAPITEL VIER
Gabriel setzte sein strahlendstes Lächeln auf. »Ich habe ein Auto geklaut. Warum?«
»Warum? Das ist gegen das Gesetz, darum. Wir ziehen nicht durch die Gegend und stehlen anderer Leute Autos.«
»Wir haben Joyce’ Auto gestohlen«, konterte Gabriel spitz.
»Joyce hat versucht, uns umzubringen. Das rechtfertigt es vielleicht nicht, aber entschuldigt es zumindest. « Rob trat noch näher an Gabriel heran und erklärte mit kalter Wut, wobei er jedes Wort einzeln betonte: »Es gibt keinerlei Rechtfertigung dafür, unbeteiligten Menschen etwas zu stehlen. «
Es war Gabriel anzusehen, dass er die Auseinandersetzung genoss. Er wirkte entspannt, aber wachsam. Kaitlyn war klar, dass er auf Streit aus war. Es war, als sauge er die wütende Energie auf, die Rob ausstrahlte. »Was hast du dir denn stattdessen vorgestellt, du Landei? Wie sollen wir hier wegkommen?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht, aber wir stehlen nicht. Das ist
unrecht. Basta.« Für Rob war die Sache damit erledigt. Für ihn war es
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