Visionen Der Nacht: Der Tödliche Bann
Mund, schloss ihn aber wieder und seufzte. Sie legte sich eine Hand auf die Stirn. Sogar sie hatte die Fassung verloren, doch langsam gewann sie ihre Gelassenheit zurück und legte sie sich um wie einen Mantel. »Rob hat recht, Kaitlyn«, sagte sie langsam. »Gabriel hat das nicht nur gesagt, er hat es auch so gemeint.«
Kaitlyn senkte die Arme und betrachtete den Kristall. Er war schwer und kalt, und an einer scharfen Kante klebte rosa Blut. Gabriels Blut. »Aber was können wir tun?«, fragte sie.
»Das wüsste ich auch gern.« Lewis’ rundes offenes Gesicht wirkte ungewöhnlich angespannt. »Was können wir gegen ihn ausrichten? Er weiß, wo wir sind …«
»Wir müssen hier weg«, sagte Rob. »Das ist völlig klar. Und dann ist da noch etwas: Gabriel ist unser Feind. Ich habe es ernst gemeint, als ich sagte, dass wir gegen ihn kämpfen werden. Von nun an müssen wir tun, was notwendig ist.«
Kaitlyn fröstelte.
»Tja«, seufzte Lewis. »Wenn wir ihn wirklich aufhalten wollen, dann tun wir es eben.«
»Nicht nur das. Wenn wir ihn jagen müssen, werden
wir auch das tun. Wir müssen Mr Zetes besiegen, und das schließt Gabriel vielleicht mit ein. Wenn es so ist, dann ist es eben so. Wir tun, was wir tun müssen«, sagte Rob. »Wir haben keine Wahl.«
Lewis’ Blick wurde immer trüber, doch er nickte bedächtig und kratzte sich an der Nase. Besorgt blickte Kaitlyn Anna an.
Anna wirkte entschlossen. »Ich bin eurer Meinung«, sagte sie. »Allerdings hoffe ich, dass er zu Verstand kommt und es nicht nötig sein wird. Aber er ist jetzt unser Feind. So müssen wir ihn auch behandeln.« Ihre dunklen Augen waren traurig, aber hart. Kaitlyn begriff: Anna war von Natur aus friedvoll, doch sie vertrat eine pragmatische Haltung, wie sie auch in der Natur vorherrschte. Manchmal musste man sich entscheiden, manchmal sogar Opfer bringen.
Die drei waren sich einig, vereint gegen Gabriel. Sie blickten Kaitlyn fragend an.
In diesem Moment wusste Kaitlyn, was sie zu tun hatte.
Es war eine plötzliche Eingebung, fast wie eines ihrer Bilder. Ein verrückter Plan, völlig abgedreht – aber sie musste etwas unternehmen. Sie konnte es nicht zulassen, dass Rob Gabriel zerstörte, nicht nur wegen Gabriel, sondern auch Rob zuliebe. Wenn es ihm gelänge, wäre er für alle Zeiten ein anderer.
Der erste Schritt ihres Planes bestand darin, dass niemand wissen durfte, was sie plante.
Also bemühte sie sich um ein ausdrucksloses Gesicht und tat ihr Bestes, ihre Gedanken zu verschleiern. Es war nicht so einfach, etwas vor den anderen zu verbergen, doch sie hatte in den vergangenen Wochen einige Übung darin gesammelt. Entschlossen und so finster, wie es ihr eben möglich war, sagte sie: »Ich bin ganz eurer Meinung.«
Sie fürchtete, dass die anderen misstrauisch werden könnten, doch ihre drei Begleiter zählten wohl zu den am wenigsten argwöhnischen Menschen der Welt. Rob nickte, seinerseits entschlossen und grimmig, Anna schüttelte traurig den Kopf und Lewis seufzte.
»Hoffen wir das Beste«, sagte Rob. »Jetzt müssen wir aber erst einmal ein bisschen schlafen. Wir müssen früh aufstehen und uns auf den Weg machen.«
Das heißt, dass ich nicht viel Zeit habe, dachte Kaitlyn, und versuchte, auch diesen Gedanken zu verbergen. »Das ist eine gute Idee«, sagte sie, ging zum Schreibtisch und legte die Kristallscherbe wieder in die Schublade.
Lewis wünschte ihnen eine gute Nacht und ging. Er kaute nachdenklich auf dem Daumennagel herum. Wegen Gabriel?, fragte sich Kaitlyn. Oder wegen Lydia? Anna verschwand im Bad, und Kait und Rob blieben allein zurück.
»Das tut mir alles so leid«, sagte Rob traurig. »Besonders tut es mir leid, dass er dir wehgetan hat. Das war … unbeschreiblich.«
»Ist schon gut.« Kaitlyn war noch immer kalt. Sie fühlte sich von Robs Wärme angezogen wie eine Motte vom Licht. Gerade in diesem Moment, da es womöglich kein Morgen mehr gab. Aber das konnte er ja nicht wissen. Er nahm sie in die Arme.
Der erste Kuss hatte etwas Verzweifeltes, beiderseits. Doch da Rob immer ruhiger wurde, ging seine Gelassenheit auf Kait über. Schön, dachte sie, ein warmes Kribbeln, ein wärmender goldener Schauer.
Da fiel es ihr noch schwerer, ihre Gedanken vor ihm zu verbergen. Doch es blieb ihr nichts anderes übrig. Er durfte nicht wissen, dass sie bald zum ersten Mal, seit sie sich kennengelernt hatten, getrennt sein würden. Kaitlyn schmiegte sich an ihn und konzentrierte sich darauf, wie sehr sie ihn
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