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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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der Werwölfe waren nicht meine Probleme. Jake und Dren schon.
Außerdem, was konnte ein kleiner Tropfen Blut schon anrichten?
    Während ich meine Runde drehte,
entdeckte ich neben den beiden Krankenschwestern, die ihre Berichte
durchgingen, noch etwas anderes vor Winters Zimmer. Mitten im Durchgang hatte
sich ein kleiner schwarzer Wolf zusammengerollt und drückte die Schnauze an den
Schwanz. Durch seine dicken Pfoten, das flauschige Fell und die großen
rötlich-gelben Augen wirkte er wie ein Welpe. Neben ihm hing ein Zettel an der
Wand, auf den jemand geschrieben hatte: »Meine Mom hat gesagt, ich darf über
Nacht hierbleiben.«
    Â»O mein Gott, ein Wolfswelpe!«
Die gelben Augen richteten sich auf mich.
    Â»Er ist ein Wolfs mensch «, korrigierte mich
Lynn. Sie brachte die Berichtsüberprüfung mit Gina zu Ende, dann verließen die
Schwestern von der Tagesschicht die Station.
    Erst als sie weg waren, stellte
ich den Beutel mit unseren Vorräten ab. Dann ging ich in die Hocke, um den
Welpen besser sehen zu können. Ich fasste ihn allerdings nicht an. »So etwas
Niedliches habe ich noch nie gesehen, Gina.«
    Â»Besonders niedlich ist, wenn
er dir die Nase abbeißt.« Sie schaute zu dem kleinen Wolf hinunter. »Nichts für
ungut.«
    Der Wolf schloss die Augen.
Gina hatte genug Erfahrung, um den Welpen wie einen Menschen zu behandeln. Ich
nicht. Daran musste ich unbedingt arbeiten. Aber bei etwas so Niedlichem war
das schwierig. Ich schaute zu Gina und holte tief Luft.
    Â»Frag bloß nicht, ob du ihn
streicheln darfst. Das wäre extrem unhöflich«, sagte sie, ohne von Winters Krankenblatt
aufzublicken.
    Â»Du und deine verdammten
telepathischen Fähigkeiten.«
    Gina grinste. »Mach dich
bereit, wir gehen rein.«
    Irgendwie war es ein
komisches Gefühl, von dem Wolfswelpen beobachtet zu werden, während wir uns
unsere Ausrüstung überzogen und ich ein Gewehr mit Betäubungspfeilen auf seinen
Verwandten richtete. Er stand jetzt in der Tür, sodass ich erkennen konnte,
dass er mir bis knapp übers Knie reichte.
    Â»Wie sieht’s aus?«, fragte ich
Gina, was der Wolf mit einem Zucken der Ohren registrierte.
    Gina antwortete nicht, streckte
aber die Daumen nach unten, als sie gerade nicht im Blickfeld des Wolfs war.
    Ich ging zu den Infusionspumpen
hinüber. Die Dosis der Blutdruckmedikamente war erhöht worden, außerdem hatte
man neue Pumpen herbeigeschafft, weil die alten offenbar nicht gut genug
arbeiteten. Die Betäubungsmittel hingegen waren zurückgefahren worden.
    Â»Mister Winter, können Sie mich
hören?«, fragte Gina laut und deutlich. Sie stand dicht neben dem Bett. Sie
schüttelte ihn sanft und rieb dann über sein Brustbein, um zu sehen, ob er auf
den Schmerz reagierte. Er rührte sich nicht. »Mister Winter?« Mit einem
schnellen Blick zu mir zuckte sie die Achseln und fuhr dann mit der
Untersuchung fort. Der Wolf an der Tür hatte sich hingesetzt und beobachtete sie
wachsam. Am liebsten hätte ich etwas zu ihm gesagt, doch ich biss mir noch
rechtzeitig auf die Zunge. Einen Wolf hier abzustellen, war ein brillanter
Schachzug. Wir – oder zumindest ich – würden ihn lediglich wie ein Hündchen
behandeln, aber nicht wie eine Person und in seiner Anwesenheit alles Mögliche
ausplaudern. Und wahrscheinlich konnten Wölfe uns Menschen verdammt gut
einschätzen – selbst ich hatte an Ginas Körperhaltung erkannt, dass es Winter
schlecht ging, noch bevor sie etwas gesagt hatte. Ein menschlicher Angehöriger
würde sich die Maßnahmen der Schwester vielleicht schönreden, weil er
verzweifelt auf gute Nachrichten hoffte; ein Wolf wusste es sicherlich besser.
    Â»Junior! Was machst du denn
hier?«
    Der Werwolf mit dem
Kapuzenpulli, dem ich heute schon zweimal begegnet war, kam um die Ecke und
musterte den Welpen mit strengem Blick. Der sprang auf, schien sich einen
Moment lang zu freuen, ließ dann aber Kopf und Schwanz hängen, als der andere
näher kam.
    Â»Hat deine Mutter dir erlaubt,
so hierzubleiben?«, fragte er.
    Der Welpe schaute vielsagend zu
dem Zettel an der Wand.
    Â»Ich rufe sie an, damit sie
dich abholt.« Leises Winseln von dem Kleinen. »Du kriegst keinen Ärger, sie
hätte es aber besser wissen müssen.« Er ging ein paar Schritte beiseite, um in
Ruhe zu telefonieren.
    Der Wolf wandte sich an Gina
und mich. Gina zuckte nur

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