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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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Probleme bedeuten würde.
    Ich griff nach dem Kästchen,
das Anna mir gegeben hatte. Ashers Silberarmreif hatte Großvater sich zumindest
nicht einverleibt. Ich legte ihn an und kam mir kurz vor wie Wonder Woman, dann
schlug ich das Bett auf und sank in die Federn.
    Ich hatte mir keinen
Wecker gestellt, und als ich aufwachte, wurde ich das Gefühl nicht los, dass es
schon ziemlich spät war. Blinzelnd griff ich nach meinem Handy. Fünf Uhr
nachmittags. Und ich lag immer noch sicher in meiner Wohnung. Zumindest so
sicher, wie es unter diesen Umständen möglich war. Die heutige Aufgabenliste
drängte sich in meine Gedanken: Essen mit Jake, Werwolfanführer um Hilfe bitten.
    Erst als ich zum Bad tappte, um
mir die Zähne zu putzen, fielen mir der riesige Blutfleck auf dem Boden und
mein nicht-kätzischer, nicht-vampirischer Mitbewohner wieder ein.
    Â»Hi, Gideon«, begrüßte ich ihn,
als ich das Wohnzimmer betrat. Er stand mit dem Rücken zu mir an der
gegenüberliegenden Wand. Seine Schultern waren gebeugt, was mich an einen
pinkelnden Mann erinnerte, aber ich konnte weder Urin riechen, noch plätscherte
es. »Großvater?«, fragte ich probehalber.
    Dieser reglose Rücken und die
Tatsache, dass er auf keinen der beiden Namen reagierte, waren irgendwie
gruselig. Während ich auf ihn zuging, kam ich mir vor wie das dumme Huhn im
Horrorfilm, das immer genau das tut, was es nicht tun sollte, ganz egal, wie
viel Popcorn man nach ihm wirft oder wie laut man die Leinwand anbrüllt. Als
ich um ihn herumging, entdeckte ich, dass er sowohl mit einer Steckdose als
auch mit der Telefonleitung verbunden war.
    Â»Ich finde das immer noch nicht
gut«, sagte ich. Die Kabel sahen aus wie Nabelschnüre. Vorsichtshalber
verfolgte ich ihren Verlauf nur bis zu den Falten, die mein Bademantel über
Gideons Bauch warf. Moment mal – mein Bademantel? »Gideon«, versuchte ich es
noch einmal lauernd. War ihm denn gar nichts mehr heilig? Ich schob mich näher
an ihn heran. »Brauchst du jetzt überhaupt noch Nahrung? Oder Wasser?«, fragte
ich, bekam aber keine Antwort. »Na schön. Ich gehe dann mal ins Badezimmer und
mache deine Schweinerei weg.« Am liebsten hätte ich ihn gepiekt, um zu sehen,
ob das eine Reaktion hervorbrachte, doch stattdessen holte ich das Putzmittel
unter der Spüle hervor.
    Davon würde ich bald Nachschub
brauchen und ein paar neue Handtücher noch dazu, aber das konnte hoffentlich
bis nach den Feiertagen warten. Ich fragte mich, wie genau Großvater-Gideon
gerade mit der Außenwelt kommunizierte, und zu welchem Zweck. Kurz stellte ich
mir vor, wie er bei diversen Messageboards ernsthafte Beschwerden vorbrachte.
Ich schnaubte abfällig. Wahrscheinlich hätte ich irgendjemandem von ihm
erzählen oder eine Warnung formulieren sollen. Aber erstens war ich nicht
sicher, an wen ich mich damit wenden sollte, und zweitens hatte er bisher nur
den Nachteil, dass er an Strom hing wie ich an meiner Tageslichtlampe; das
konnte also warten.
    Ich schrubbte das Badezimmer so
lange, bis nur noch ein ausgebildeter Forensiker hätte feststellen können, dass
es einmal ein Tatort gewesen war. Aufgeputscht durch den strahlenden Glanz und
die Chlordämpfe des Putzmittels machte ich mich für mein Essen mit Jake
zurecht.
    Neben meiner Arbeitskleidung
legte ich auch allen Silberschmuck an, den ich besaß. Mit dem Gürtel, dem
Armreif und meinem Dienstausweis – der mir vielleicht ein oder zwei Sekunden
vor einem Werwolfangriff eine Warnung schicken würde – rechnete ich mir gute
Chancen aus, nach Verlassen der Wohnung noch ungefähr fünf Sekunden zu
überleben. Fünf ganze Sekunden, nicht einmal unbedingt schmerzfrei sein würden.
Hurra! Der Weg zu meinem Auto würde aber bereits zehn Sekunden in Anspruch
nehmen, und technisch gesehen war ich im Wagen auch nicht sicherer als draußen.
Und sollte ein Irrer in einem schwarzen Laster beschließen, mich zu überfahren,
hatte mein kleiner Chevy sowieso keine Chance.
    Während ich noch weitere
Möglichkeiten meines Ablebens abwog, tauchte plötzlich Gideon hinter mir auf.
    Â»Ich muss wegfahren. Hältst du
hier die Stellung?« Mir war zwar nicht ganz klar, was genau Gideon tun konnte,
aber ich hatte schon miterlebt, wie Großvater Laserstrahlen aus dem Bauch eines
wütenden Drachen gefeuert hatte. Gideon nickte und deutete mit dem Kinn auf

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