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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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Ernst: Wenn ich meinen Job verliere, was wird dann aus meiner Mom und meinem
Dad? Andererseits befürchte ich, dass die Schatten sie vielleicht ewig am Leben
erhalten, nur damit ich weiter in der Falle sitze.«
    Â»Nicht ganz unbegründet.«
    Â»Ich weiß. Aber egal, es ist
wie es ist. Eines Tages werde ich da rauskommen, nur eben nicht heute. Oder
morgen. Oder in vier Tagen.«
    Wir waren in einer Wohngegend
angekommen, in der die Häuser sich dicht aneinanderdrängten. Gina zeigte auf
eine Auffahrt. »Kommst du klar?«, fragte ich sie.
    Â»Ja, ich fahre heute Abend
einfach mit dem Bus zum Krankenhaus. Wird schon schiefgehen.«
    Das hatte ich zwar eigentlich
nicht gemeint, aber ich nickte. »Ruf an, wenn du noch irgendetwas brauchst,
Gina.«
    Â»Mach ich.« Sie lächelte
angestrengt. Ihre Hand lag bereits auf dem Türgriff, aber sie rührte sich
nicht. Ich konnte sehen, wie sie sich innerlich für die Begegnung mit ihren
Eltern wappnete, verfolgt von den Erinnerungen an all das, was hätte sein
können – und der deprimierenden Erkenntnis, eine falsche Entscheidung getroffen
zu haben, ohne sicher zu wissen, welche das eigentlich war.
    Â»Er hat dich gar nicht
verdient, Gina. Das weißt du doch, oder?«
    Â»Ja. Aber deshalb tut es nicht
weniger weh.« Sie umarmte mich fest, dann stieg sie aus dem Wagen. Ich
beobachtete, wie sie die Haustür aufsperrte, winkte ihr noch einmal zu und fuhr
dann rückwärts aus der Einfahrt.
    Ich wünschte, ich hätte mehr
für sie tun können, aber zu Hause erwarteten mich meine ganz eigenen Probleme.

Kapitel 29
    Â 
    Â»Liebling,
ich bin zu Hause!«, rief ich, als ich meine Wohnung betrat. Aus Richtung
Badezimmer antwortete mir ein Stöhnen, gefolgt von einem vorwurfswollen Maunzen
von Minnie.
    Ich ging in die Küche.
Während ich einen übrig gebliebenen Bagel in den Kühlschrank legte, fiel mir
die leere Stelle auf der Arbeitsplatte auf, wo früher mein Tischbackofen
gestanden hatte. Hm. Die Sprühflasche, die neben der Couch stand, war leer.
Hoffentlich war ein Teil des Inhalts in Gideons Mund gelandet. Ich lauschte.
Falls Veronica aufgewacht war, wäre Gideon tot – und Gott möge Sike beistehen,
wenn sie Veronica geholt, Gideon aber dagelassen hatte. Ich ging durch den Flur
und drückte ein Ohr an die Badezimmertür. Dahinter herrschte Stille.
    Â»Hey, ich würde gerne duschen.«
Apropos, ihm würde das wahrscheinlich auch guttun. Verdammt noch mal, wenn ich
schon an meinem freien Tag andere Leute duschen musste, sollte ich doch
wenigstens den Mindestlohn bekommen.
    Wieder ein Stöhnen. Gideon
klang immer wie ein Patient mit Leberzirrhose im Endstadium, in dessen Gehirn
so viele Giftstoffe herumschwirrten, dass es nicht mehr richtig funktionieren
konnte. Oder wie ein paarungsbereiter Seehund am Strand. »Ist bei dir alles in
Ordnung? Einmal bedeutet ja, zweimal nein«, erklärte ich.
    Stille.
    Verdammt.
    Â»Ich komme jetzt rein.« Ich
drückte die Tür auf, hielt aber abrupt inne, als sie drinnen gegen meine
elektronische Waage knallte. Die mitten auf dem Boden stand und aus irgendeinem
Grund auseinandergenommen worden war. »Gideon?«
    Gideon stand nackt vor dem
Spiegel, mit dem Rücken zu mir, sodass ich sein Spiegelbild nicht sehen konnte.
Ich schob mit dem Fuß die Waage beiseite und betrat das Bad. »Alles klar?«,
fragte ich noch, dann keuchte ich entsetzt. Der Boden rund um das Waschbecken
war voller Blutspritzer, und aus dem Spiegel blickte mir ein stark veränderter
Gideon entgegen.
    Â»Was ist mit dir passiert?«
    Sein Gesicht war dasselbe – die
Lider hingen immer noch schlaff über leeren Augenhöhlen, seine Zähne lagen
immer noch bloß –, doch in seiner Brust befand sich ein Stück Kunststoff, tief
eingebettet in sein Fleisch. Dort, wo es sich eingegraben hatte – oder wo er es
eingefügt hatte –, konnte ich dicke Schwellungen erkennen. O mein Gott. Es gab noch mehr Teile an verschiedenen Stellen, die sich wie ein Puzzle auf
seinem Oberkörper verteilten. Ich spürte, wie ein kleiner Teil meines Gehirns
vor dem Grauen kapitulierte und den Dienst einstellte.
    Â»Gideon … was hast du getan?«
    Ãœber seine Brust verliefen
Linien, die jedoch keine Adern waren. Ich konnte sehen, wie sie sich unter
seiner Haut entlangschlängelten, sich wanden und die Wege für ein

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