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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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neues
Kreislaufsystem schufen. Als ich ihn zu mir umdrehen wollte, hielt er mich mit
erhobenen Händen davon ab … Seine Finger endeten in spitzen Metallstäben. Mein
Gehirn brauchte ein wenig, um sie zuordnen zu können: Sie stammten aus dem
Grill meines Tischbackofens.
    Â»Was – ist – passiert?«
    An seiner Schulter leuchtete
ein rotes Lämpchen auf, es sah aus wie das einer Webcam. Und zwar genau wie das
an meinem Laptop. Plötzlich wusste ich, wer hinter dem Ganzen steckte.
    Â»Großvater.«
    Gideon antwortete nicht. Ohne
Zunge ging das auch schlecht. Doch aus Gideons Brust drangen gemurmelte
deutsche Worte. Der Discman saß unter seiner Haut wie ein Schrittmacher,
platziert in einer zerfetzten, offenen Wunde.
    Â»Wie zum Teufel ist das
passiert?«
    Ich war doch nur eine Nacht
lang weg gewesen. Eine einzige Nacht. Und schon hatte Großvater die gesamte
Elektronik aus dieser Wohnung genommen und sie in Gideon reingestopft, als wäre
er eine verdammte Piñata. Am liebsten hätte ich mich übergeben, aber Gideon
versperrte den Weg zur Toilette, und ich wollte nicht in sein Blut treten.
    Â»Was …? Wie …?«, stammelte ich.
Dann wandte ich mich Gideons Brust zu. »Hast du ihm wenigstens die Wahl
gelassen?«
    Â»Es stellt uns beide zufrieden.«
    Â»Hat er dir die Wahl
gelassen?«, fragte ich stattdessen Gideon mit schriller Stimme.
    Â»Unsere Wahl war offensichtlich.« Der Mann – der Mensch unter all dem, was
Großvater angerichtet hatte – nickte. Aber vielleicht stand er ja auch unter
Großvaters Kontrolle.
    Ich streckte die Hand Richtung
Waschbecken aus, zog sie aber im letzten Moment zurück, bevor ich einen
Blutfleck berührte.
    Gideons Hände waren motorisch
zwar noch nicht ganz auf der Höhe, aber er hatte es geschafft, das warme Wasser
aufzudrehen. »Diesen Tischbackofen habe ich zum Schulabschluss bekommen«, sagte
ich vorwurfsvoll.
    Großvater redete einfach
weiter.
    Â»Ich könnte ja versuchen zu
übersetzen, was du sagst, aber du hast meinen Laptop gefressen.« Mein Gehirn
versuchte krampfhaft zu begreifen, was hier passiert war. Erst arbeitete es auf
Hochtouren, dann geriet es außer Kontrolle. Es war eine Sache, Großvater im
Haus zu haben, den ich bisher immer für einen etwas launischen deutschen Geist
gehalten hatte. Aber es war etwas völlig anderes, wenn er sich plötzlich zu
einem Cyborg umschmiedete.
    Â»Ich brauche eine heiße
Dusche.« Ich atmete ein paarmal ein und aus. »Danach wird alles viel klarer
sein.« Schlimmer konnte es ja sicher nicht mehr werden. Ich trat beiseite,
damit Gideon sich an mir vorbeischieben konnte.
    Er rührte sich nicht.
    Â»Dusche, allein. Raus hier,
sofort.«
    Gideon hob den rechten
Zeigefinger, der nun durch den Temperaturregelungsschalter aus dem
Tischbackofen ersetzt worden war. Dann drehte er sich zum Spiegel und zeichnete
etwas auf das beschlagene Glas.
    Â»Raus!«, kreischte ich.
    Endlich zwängte er sich an mir
vorbei, ließ das Wasser aber laufen.
    Bevor der Wasserdampf es
verschwimmen ließ, konnte ich im Spiegel ein Wort lesen: Elektronikmarkt.
    Es überraschte mich
nicht weiter, dass die Dusche nicht wirklich half. Es war völlig unmöglich, mir
die Sorgen abzuwaschen, solange der Gedanke Was
zum Teufel ist mit Gideon passiert? allen
verfügbaren Platz in meinem Hirn einnahm.
    Er war ja vorher schon ein
grauenhafter Anblick gewesen, aber da konnte mein Gehirn noch begreifen, welche
Art von Schaden vorlag; schließlich hatte ich bei der Arbeit ähnliche Fälle
gesehen. Nun hatte er sich auf eine Art und Weise verändert, die ich nicht
erfassen konnte. Fast wäre ich auf die blutigen Fliesen getreten, doch ich
schnappte mir im letzten Moment ein Handtuch und legte es über die Spritzer. Mir
fehlte die Kraft, um jetzt noch irgendetwas sauber zu machen. Das Sagrotan
musste warten.
    Ich ging ins Schlafzimmer. Ein
paar Stunden Tageslicht blieben mir noch. Ich sehnte mich nach Sicherheit, aber
bei all diesem Wahnsinn um mich herum war die schwer zu kriegen. Zu viel
passierte einfach gerade, und nichts davon hatte ich unter Kontrolle. Wenn
Annas Zeremonie erst mal vorbei war und Gideon und Veronica aus meiner Wohnung
verschwanden, würde vielleicht langsam alles Sinn ergeben. Dann musste ich mir
nur noch wegen der Stalker-Vampire und der Stalker-Werwölfe Sorgen machen. Was
eine Halbierung meiner

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