Visite bei Vollmond
wurde es mir so gesagt.« Sie
fuhr mit den Haaren durch Veronicas kurzes Haar und massierte ihren Nacken.
Dann drückte sie den Kopf des neugeborenen Vampirs an ihre Schulter und gab
tröstende Laute von sich, als hätte sie ein Baby im Arm â während sie ihr mit einer
geschickten Bewegung den Mantel und das Halsband überstreifte. Zuletzt zog sie
das Halsband fest. »Hier stinkt es nach Wolf«, stellte sie mit einem finsteren
Blick zu Lucas fest.
»Aber nicht meinetwegen.« Er
stand ruckartig auf. »Deswegen bin ich überhaupt reingestürmt.« Lucas schob
sich an Sike und Veronica vorbei, ohne den beiden den Rücken zuzuwenden. Dann
spähte er kurz in die Küche. »Da hätten wir die Erklärung.«
Ich ging zu ihm. Im Schatten
meines Küchentresens lag ein Mann auf dem Boden. Ein WeiÃer im blauen
Trainingsanzug mit Kapuze. Angenagt. Tot. »Kannten Sie ihn?«, fragte Lucas
mich.
»Noch nie zuvor gesehen. Was
macht er hier?«, zischte ich in dem Versuch, nicht hysterisch zu klingen.
»Ich weià zwar nicht, wer er
ist, aber jetzt ist klar, wovon sie sich genährt hat«, meinte Sike und half
Veronica beim Aufstehen. Ihre High Heels hinterlieÃen blutige Spuren auf meinem
Teppich, die wie winzige Hufabdrücke aussahen. »Wir gehen jetzt. Wo ist der
Krüppel?«
Fast wäre ich mir mit der Hand
durch die Haare gefahren, aber sie war voller Blut. »Im Schrank.«
Lucas drehte sich zu mir um und
zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Ich sperre ihn nicht da ein,
er hat sich nur vor ihr versteckt«, erklärte ich hastig, merkte dann aber, dass
ich dadurch nur noch verrückter klang. »Gideon?«, rief ich, woraufhin er die
Tür zum Garderobenschrank aufschob.
Er trug meinen Bademantel.
Seine Finger bestanden immer noch aus den MetallspieÃen aus meinem
Tischbackofen, und er hatte ein Loch in den Bademantel geschnitten, damit die
Webcam freie Sicht hatte.
»Was â ist â das?«, fragte
Lucas.
»Lange Geschichte. Gideon,
willst du mit ihr gehen?«
»Was hast du mit ihm gemacht?«
Sike musterte ihn von oben bis unten.
Ich ignorierte sie einfach. »Es
liegt ganz bei dir, Gideon.« Natürlich wünschte ich mir, dass er mit Sike ging,
aber ich würde niemanden in ihre Obhut geben, der das nicht wollte. Gideon
drehte sich langsam um und schaute zu Sike. Dann nickte er.
»Alles klar. Würden die
Mitglieder dieser Freakshow mir dann bitte folgen?« Sike stützte Veronica und
schob sie Richtung Tür.
»Und was ist mit dem da?« Ich
zeigte auf den Küchenboden. Meine Stimme wurde mit jeder Silbe schriller. Es
kostete mich viel Kraft, nicht zu schreien.
»Nicht mein Problem. Bitte doch
deinen neuen Freund um Hilfe.«
»Warte ⦠was ist mit â¦Â« Ich
schaute zwischen ihr und Lucas hin und her, da ich nicht sicher war, wie viel
ich sagen durfte. »Was ist mit der Sache aus meiner SMS ?«
Sike warf ebenfalls einen
prüfenden Blick in Lucasâ Richtung. »Ich rufe dich nachher an.« Damit führte
sie Veronica aus der Tür. Gideon folgte ihr mit wehendem Bademantel in die
Nacht hinaus.
Da stand ich nun, mit
einer Leiche in der Küche, einem riesigen Blutfleck auf dem Teppich und einem
quasi fremden Mann â nein, Werwolf â in meiner Wohnung.
»Sind Sie sicher, dass Sie ihn
nicht kennen?« Lucas bückte sich und tastete den Leichnam ab, auf der Suche
nach Brieftasche und Schlüsseln. Offenbar war ihm diese Aufgabe nicht ganz
fremd. Dann zog er die Kapuze des Toten runter, damit ich ihn mir besser
ansehen konnte.
Ich kniete mich hin. »Immer
noch keinen Schimmer, wer das ist.«
»Sie haben zwar sicher einen
stabilen Magen, aber vielleicht schauen Sie bei dem, was ich gleich tun werde,
doch besser weg«, warnte Lucas mich. Ich ignorierte ihn. Er schob seine Hand in
den Mund des Leichnams und riss den Unterkiefer herunter. Mit einem Ploppen
sprang der aus dem Gelenk, dann folgte ein feuchtes Schnalzen, als Sehnen und
Muskeln rissen. Sobald der Kiefer lose herunterhing, fuhr Lucas mit dem Finger
an den Zähnen des Toten entlang.
»Was machen Sie denn da?«
»Er hat Füllungen. Ich habe
keine. Werwölfe kriegen keine Löcher in den Zähnen â der Mond heilt bei der
Verwandlung alles, sogar die Zähne. Das bedeutet, er wurde erst nach dem
letzten Vollmond erschaffen.«
»Er ist ein
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