Visite bei Vollmond
blieb also gar nichts anderes übrig, als sie offen zu
lassen. Minnie und ich folgten Lucas nach drauÃen und stiegen in seinen Wagen.
»Was machen wir jetzt?«, fragte
ich, sobald ich Minnies Box auf meinem Schoà abgestellt hatte.
»Erstmal fahren wir zu mir. Es
wird nicht lange dauern, bis Sie zurück können â die Putzkolonne ist schnell.«
Das musste ich erst mal verdauen, und vielleicht deutete er mein Schweigen als
Zeichen von Angst, denn er fuhr fort: »Hier konnten Sie doch nicht bleiben,
nicht bei all dem Blut.«
»Ja, meine Kaution wäre dann
wohl futsch.«
Er lachte. Wir fuhren um eine
Kurve und Minnie fauchte.
»Ich fühle mich furchtbar, weil
ich ihr das antue.« Gott allein wusste, wie lange sie schon hinter der Kommode
gehockt hatte.
»Warum sind Sie eigentlich
nicht wütend? Ihre Vampirfreundin hat Ihnen da ganz schön was eingebrockt.«
»Ja, aber irgendwie waren
bisher alle, die es wirklich auf mich abgesehen hatten, Werwölfe.«
»Auch wieder wahr.« Er packte
das Lenkrad fester. Plötzlich wurde mir klar, dass ein Vampir zwar nicht ohne
meine Erlaubnis in meine Wohnung eindringen konnte, ein Werwolf allerdings
schon. Lucas fuhr fort: »Er hat nicht nach Viktor gerochen. Damit wäre Viktor
aus dem Schneider.«
»Nein, damit wissen wir nur,
dass ich immer noch keine Ahnung habe, wer hinter mir her ist«, widersprach
ich. Darauf fiel ihm nichts mehr ein.
DrauÃen zogen die Häuser wie
Pfosten in der Dunkelheit vorbei. SchlieÃlich brach ich das unangenehme
Schweigen: »Werden Ihnen die Kämpfe nicht fehlen, wenn Sie heute nicht
hingehen?«
»Ich war während der letzten
zwei Wochen jede Nacht dort. Da kann ich bestimmt mal einen auslassen.«
Als wir bei Lucas
ankamen, äuÃerte sich Minnies Angst nur noch in einem leisen Grummeln. Wir
hielten vor einem weitläufigen zweistöckigen Haus. Die Art von Heim, bei der
man automatisch einen Pool im Garten erwartet â den es auch gab, wie ich sehen
konnte, als wir durch eine Einfahrt und um das Haus herumfuhren. Hinten im
Garten stand noch ein zweites, kleineres Haus, und als wir ausstiegen, wurde
mir klar, dass Lucas uns dorthin führte. Ich nahm meinen Koffer und die
Katzenbox und folgte ihm hinein.
»Mein Onkel ist â war â
Bauunternehmer. Das Haupthaus gehört ihm, dort leben jetzt Helen und Fenris
Junior. Das hier ist meins.« Er warf den Schlüssel auf einen Tresen und griff
zum Handy. »Ich muss noch ein paar Anrufe machen. Das erste Zimmer da vorne im
Flur können Sie haben. Direkt daneben ist auch ein Bad mit Dusche.«
Ich brachte zunächst meine
Sachen in das Gästezimmer, ging dann in das Bad und wog die Risiken ab: duschen
in einem fremden Haus, in dem sich ein fremder Mann befand â oder den Rest der
Nacht mit fremdem Blut verschmiert bleiben? Ekel siegte über Vernunft, und ich
zog mich bis auf den Silberarmreif aus und ging unter die Dusche.
Unter dem heiÃen Strahl konnte
ich zwar besser denken, aber er löste keines meiner Probleme. Alles, was ich
besaÃ, war entweder zerfetzt, zerbrochen, blutverschmiert oder von einem
gruseligen Cyborg absorbiert worden. Ich schuldete einem Vampir eine neue Hand.
Ständig wurde ich von Werwölfen angegriffen und würde auÃerdem die
Silvesternacht mit einem Vampir verbringen. Meine Gedanken drehten sich ziellos
im Kreis wie das Wasser im Abfluss. Ich verlor jedes Zeitgefühl.
Plötzlich klopfte es an der
Badezimmertür. »Sind Sie schon ertrunken?«
»Nein.«
Als die Tür sich öffnete,
versuchte ich, nicht gleich in Panik auszubrechen. Doch Lucas legte nur ein
paar frische Handtücher auf den Waschtisch und schloss die Tür hinter sich. Ich
drehte den Hahn zu und trocknete mich ab â wobei mir wieder einfiel, wie Gideon
in meinem Bademantel aus der Tür gerannt war, ein Anblick, den ich mir gerne
erspart hätte. AnschlieÃend sammelte ich vorsichtig meine blutverschmierten
Klamotten ein und ging zurück in das Zimmer, wo ich Minnie abgestellt hatte.
Das Türchen der Tragebox war offen, doch sie hockte immer noch drin, als wäre
sie nicht von Teppich, sondern von heiÃer Lava umgeben.
»Ich verstehe dich ja.
Mannomann, und wie!« Ich trocknete mir so gut es ging die Haare ab und checkte
dann die sauberen Sachen, die ich mitgebracht hatte â Trainingshose und
Schlabberoberteil. Ashers Armreif
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