Visite bei Vollmond
Richtung Haus. »Edie, ich wittere Blut.«
»Komm mit! Schnell.« Ich wusste
zwar nicht, was Lucas drinnen vorfinden würde, aber im Moment hatte ich nichts
zu verbergen. Und schon rannte er an mir vorbei.
Ich ging eigentlich
davon aus, dass Lucas meine Tür hätte aufbrechen müssen, doch als ich die
Wohnung erreichte, sah ich, dass sie ohnehin sperrangelweit offen stand.
Drinnen war es dunkel, ich hörte nur, wie sich jemand durch die Räume bewegte.
»Gideon?« Ich blieb in der
Diele stehen. Jemand packte mich und zog mich in den Garderobenschrank.
Eine Hand auf meinem Mund
erstickte meinen Schrei, und ich spürte kaltes Metall an meiner Wange.
Verzweifelt versuchte ich, mich irgendwie bemerkbar zu machen, aber meine
Lippen wurden von einer verschwitzten Handfläche fixiert. Also fing ich an zu
zappeln, bis mir klar wurde, dass mein Angreifer lediglich versuchte, mich
möglichst still zu halten. Ich beruhigte mich, tastete herum und spürte Haut
und Drähte. Gideons Hand.
Erleichtert sackte ich in mich
zusammen, und er lieà mich los.
»Was ist passiert?«, flüsterte
ich. Plötzlich konnte ich hören, dass in der Wohnung gekämpft wurde. Das rote
Lämpchen meiner Webcam leuchtete an Gideons Schulter. Es hüpfte auf und ab, als
er mit den Achseln zuckte â er konnte es mir ja nicht sagen.
Aus dem Wohnzimmer kamen leise,
tierhafte Geräusche. Dann klatschte Fleisch auf Fleisch, und etwas kreischte
laut.
In dem trüben Licht, das vom
Parkplatz in den Flur drang, konnte ich erkennen, wie Lucas mit jemandem rang.
Schnell drückte ich auf den Lichtschalter im Flur, woraufhin sein Gegner im
Wohnzimmer zischte.
»Tu ihr nicht weh!«, rief ich,
als ich sie erkannte.
Lucas hatte Veronica am Boden
festgesetzt. Sie war völlig auÃer Kontrolle, wand sich unter ihm und murmelte
fremdartige Worte. So kurz vor Vollmond war er stark, während sie frisch verwandelt
und damit schwach war. Aber wenn sie sich gerade gestärkt hatte â was den
Blutfleck am Boden erklärte, in dem sie sich wälzten â, dann könnte sie Lucas
letztendlich vielleicht doch überwältigen. Irgendwann würde er müde werden, und
ob er starb, war ihr schlieÃlich egal.
»Veronica! Hör auf damit,
Veronica!« Ich kniete mich hin und schnippte mit den Fingern, um ihre
Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Ihr eine Ohrfeige zu geben, war mir zu
riskant, sonst verbiss sie sich vielleicht noch in meine Hand. »Veronica â¦
früher warst du Veronica, weiÃt du das noch?«
»Sie ist völlig wild ⦠wir
sollten â¦Â« Lucas drückte sie noch fester zu Boden.
»Nein, warte!« Meine Handtasche
und damit mein Handy, Sikes Nummer und mein Dienstausweis, der vielleicht
helfen konnte, befanden sich noch in Lucasâ Wagen. »Versuch einfach, ihr nicht
wehzutun, okay? Bin gleich wieder da.«
Ich stemmte mich mit einer Hand
hoch und fühlte etwas Kaltes, Dunkles unter meinen Fingern. Während ich zur Tür
rannte, wischte ich die Flüssigkeit an meiner Hose ab.
Plötzlich trat mir eine
elegante Frauengestalt in den Weg. In der einen Hand hielt sie ein Halsband, in
der anderen einen Mantel. Sike.
»Das nenne ich unerwartet«,
bemerkte sie. Sike betrat die Wohnung und wich mühelos den Blutflecken auf dem
Boden aus.
»Was, das hattest du nicht
eingeplant? Kaum zu glauben«, erwiderte ich ätzend, dabei war ich verdammt
froh, sie zu sehen. Vielleicht konnte sie sich ja einen Reim auf dieses Chaos
machen. Ich unterdrückte den Impuls, die Blutflecken auf meinen Knien zu
verreiben.
»Das schwöre ich bei allem, was
mir heilig ist«, sagte Sike wenig überzeugend. Sie streckte eine Hand nach
Veronica aus, die immer noch unter Lucas auf dem Boden lag. »Gib meine
Schwester frei«, befahl sie ihm, doch er schaute zunächst zu mir, bevor er
reagierte.
»Kennen Sie sie?«
»Nur allzu gut.«
Ganz langsam lieà er Veronica
los, blieb aber vorsichtig, falls sie sich wieder auf ihn stürzte. Sike stellte
sich der jungen Frau in den Weg.
»Ich komme von ihr. Beruhige
dich.« Sike fuhr mit den Händen über Veronicas Kopf, als würde sie eine Katze
streicheln â der neugeborene Vampir reagierte wie eine und schmiegte sich an
sie. »In den ersten Nächten sind sie alle verstört«, erklärte Sike. »Die
Verwandlung ist wohl ziemlich heftig, zumindest
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