Vittorio
er mir ein schlaues Lächeln zuwarf. »Er wollte sie als Modell, er bat den Konvent, die Schönste für ihn auszuwählen, damit die Jungfrau auf seinem Bild in aller Vollkommenheit strahlte, und dann ...«
Der andere Student nahm den Faden auf:
»... dann ist er mit ihr davongelaufen, und ihre Schwester nahm er mit - ihre leibliche Schwester, wohlgemerkt. Er hat sich direkt über seiner Werkstatt mit ihnen eingerichtet, mit seiner Nonne und deren Schwester: Die drei hausen nun da, der Mönch und die beiden Nonnen ...
und er lebt mit ihr in Sünde, mit der Lucretia Buti. Jetzt malt er sein Altarbild mit der Jungfrau und kümmert sich einen Dreck darum, was die Leute denken.«
In der Menge ringsum gab es Geschiebe und Ge-schubse. Einige Männer verlangten nach Ruhe. Die beiden Studenten erstickten fast an ihrem Lachen. Doch gehorsam dämpfte derjenige, der zuerst gesprochen hatte, seine Stimme, als er mit schadenfrohem Flüstern fort-fuhr:
»Wenn Cosimo nicht wäre, würden sie ihn aufhängen!
Ich meine, Lucrezias Familie - die wäre bestimmt bereit dazu, wenn nicht sogar der Priester des Karmeliter-ordens; vielleicht ja sogar die ganze verflixte Stadt.«
Der andere Student hielt sich unter Kopfschütteln den Mund zu, um nicht laut herauszuprusten.
Der Redner mahnte die Anwesenden, Ruhe zu bewahren. Es wäre besser, wenn dieser unerhörte Skandal den Behörden überlassen würde, denn jeder wisse ja, dass es in ganz Florenz keinen berühmteren Maler als Fra' Filippo gäbe. Und Cosimo würde sich schon zu gegebener Zeit damit befassen.
Der Student neben mir sagte: »Er war schon immer eine gequälte Seele.«
»Gequält«, flüsterte ich vor mich hin. »Gequält.« Ich erinnerte mich wieder an sein Gesicht, an diesen Mönch, den ich vor Jahren ganz kurz in Cosimos Haus gesehen hatte, der damals so heftig um seine Freiheit gestritten hatte, und das nur, weil er mit einer Frau zusammen sein wollte. Widerstreitende Gefühle kämpften in mir und dazu eine drohende Furcht. »Ach, dass sie ihm nur nicht wieder etwas antun!«
»Da stellt sich die Frage ...«, klang eine leise Stimme an mein Ohr. Ich drehte mich um, doch keiner schien gesprochen zu haben. Ursula sah sich suchend um und fragte: »Was ist, Vittorio?«
Aber ich erkannte das Flüstern, und da war es wieder, körperlos und vertraulich: »Da stellt sich die Frage, wo seine Schutzengel an dem Tag waren, als Fra' Filippo etwas so Verrücktes tat.«
Auf der Suche nach dem Ursprung der Stimme beschrieb ich einen wirbelnden Kreis. Einige Leute zogen sich ärgerlich von mir zurück. Ich griff rasch nach Ursulas Hand und lief zum Portal. Erst draußen auf der Piazza hörte mein Herz auf, so rasend zu schlagen. Mir war nicht klar gewesen, dass ich trotz dieses neuen, mächtigen Blutes solche Ängste, solches Elend verspüren konnte.
»Ach, um eine Jungfrau zu malen, ist er mit einer Nonne durchgebrannt!«, jammerte ich kaum hörbar.
»Wein doch nicht, Vittorio«, tröstete mich Ursula.
»Red nicht mit mir, als wäre ich dein kleiner Bruder!«, herrschte ich sie an, doch ich schämte mich sofort dafür.
Meine Worte hatten sie getroffen, als hätte ich sie geschlagen. Ich griff nach ihren Fingern und drückte einen Kuss darauf. »Es tut mir Leid, Ursula, es tut mir Leid.«
Dann zog ich sie hinter mir her.
»Wohin gehen wir?«
»Zu Fra' Filippos Wohnung, zu seiner Werkstatt. Frag nicht länger.«
Innerhalb kürzester Zeit hatten wir den Weg gefunden, klapperten mit hallenden Schritten die engen Gassen entlang und standen vor seiner Tür, die aber verschlossen war. Dahinter brannte kein Licht, nur im dritten Stockwerk war es hell, als hätte er mit seiner Braut bis in diese Höhe fliehen müssen.
Der Mob hatte sich hier noch nicht eingefunden. Doch aus der Dunkelheit flog plötzlich ein Klumpen Dreck gegen die verriegelten Türen, dann noch einer, und dann folgte ein Steinhagel. Ich trat zurück und stellte mich schützend vor Ursula, während ich zusah, wie ein Pas-sant nach dem anderen irgendetwas Beleidigendes gegen die Werkstatt schleuderte.
Schließlich lehnte ich mich an die gegenüberliegende Wand und wartete ab, dass der dumpfe Klang der Kir-chenglocke die elfte Stunde anzeigte, zu der sich die Leute sicherlich aus den Straßen zurückziehen würden.
Ursula wartete auf mich, ohne etwas zu sagen; sie nahm nur schweigend zur Kenntnis, dass jetzt auch das letzte Licht in Filippos Räumen verlosch.
»Das ist meine Schuld«, sagte ich. »Ich habe ihm
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