Vittorio
mir das wegen der Gelübde, die wir einstmals auf jenem Altar ausgetauscht hatten, nicht verweigern.
Nachdem er Vittorio hatte gehen lassen, nachdem er ihn in Florenz abgesetzt hatte, überzeugt davon, dass er dem Wahnsinn verfallen und am Boden zerstört war, sang er plötzlich für mich. Er sang mir Brautlieder vor. Als könnten die alten Verse unsere Liebe wieder zum Leben erwecken.«
Ich bedeckte die Augen mit der Hand, denn ich konnte die blutigen Tränen, die wir weinten, nicht ertragen. Und ich konnte es nicht ertragen, diese Bilder vor meinem geistigen Auge zu sehen, als hätte Fra' Filippo sie gemalt, diese Romanze, die Ursula geschildert hatte.
Schließlich ergriff der Priester das Wort.
»Ihr seid Kinder«, sagte er mit bebenden Lippen. »Einfach nur Kinder.«
»Ja«, sagte Ursula mit ihrer lieblichen Stimme und einem zaghaften, zustimmenden Lächeln. Sie nahm meine Hand zwischen ihre beiden Hände und rieb sie zärtlich, aber fest. »Kinder sind wir, auf ewig. Aber auch er, Florian, war nur ein junger Mann, einfach nur ein junger Mann.«
»Ich habe ihn einmal gesehen«, sagte der Mönch leise, mit vom Weinen erstickter Stimme. »Aber nur einmal.«
»Und Ihr wusstet Bescheid?«, fragte ich.
»Ich wusste, dass ich in meinem verzweifelten Glauben machtlos war, dass mich Fesseln umfingen, die ich nicht hätte lösen oder brechen können.«
»Lass uns gehen, Vittorio, damit er nicht länger weinen muss«, sagte Ursula. »Komm, Vittorio, wir wollen sie verlassen. Wir brauchen heute Nacht kein Blut, und wir wollen nicht einmal daran denken, den beiden etwas an-zutun, wir können nicht einmal ...«
»Nein, meine Geliebte, niemals«, stimmte ich zu. »Aber, Vater, nehmt mein Geschenk an, bitte, etwas anderes kann ich Euch nicht geben, nur mein Zeugnis, dass ich Engel gesehen habe und dass sie mich stützten, als ich schwach war.«
»Aber wollt Ihr nicht die Absolution von mir entgegennehmen, Vittorio?«, fragte er. Er hob die Stimme, und seine Brust schien sich zu dehnen: »Vittorio und Ursula, nehmt meine Absolution entgegen!«
»Nein, Vater«, sagte ich, »wir können sie nicht annehmen, und wir wollen sie nicht.«
»Aber warum nicht?«
»Weil wir«, sagte Ursula milde, »darauf aus sind, so bald wie möglich aufs Neue zu sündigen, Vater.«
14
DURCH EINEN DUNKLEN SPIEGEL
Sie hatte nicht gelogen.
Wir reisten in jener Nacht zur Burg meines Vaters. Diese Reise war eine Kleinigkeit für uns, doch für einen Sterblichen wären es viele Meilen gewesen. Und bisher war die Kunde, dass der nächtliche Terror der Dämonen vorbei war, dass die Vampire, die zu Florian gehörten, nicht mehr existierten, noch nicht bis zu den verlassenen Ge-höften vorgedrungen. Höchstwahrscheinlich waren viele der Höfe noch nicht wieder in Besitz genommen worden, weil die Flüchtlinge aus Santa Maddalana die entsetz-lichsten Gerüchte verbreiteten, während sie hügelauf, hügelab die Berge durchquerten.
Ich bemerkte allerdings sehr bald, dass unsere Familien-burg besetzt worden war. Ein ganzer Trupp Söldner und Schreiber hatte hart gearbeitet. Als wir nach Mitternacht die riesigen Mauern erklommen, sahen wir sogleich, dass alle Toten ein angemessenes Begräbnis bekommen hatten oder in einen entsprechenden steinernen Sarg unter der Kapelle gelegt worden waren. Und alles, was an Gü-
tern zu unserem Haushalt gehört hatte, die ganze üppige Ausstattung, war fortgeschafft worden. Und diejenigen, die schon in Richtung Süden abgereist waren, hatten nur wenige Wagenladungen zurückgelassen.
Die paar Leute, die im ehemaligen Arbeitsraum unseres Haushofmeisters schliefen, waren Buchhalter der Medici-Bank. Auf Zehenspitzen schlich ich hinein und untersuchte im trüben Licht der Sterne die wenigen Papiere, die sie zum Trocknen der Tinte hatten liegen lassen. Das gesamte Erbe des Vittorio di Raniari hatten sie gesichtet und katalogisiert und nach Florenz gebracht, damit es Cosimo in sichere Verwahrung nahm, bis Vittorio di Raniari vierundzwanzig Jahre alt und damit volljährig wurde und in eigener Verantwortung handeln konnte.
In den Unterkünften unserer Garde schliefen nur ein paar Söldner, und in den Ställen waren nur ein paar Pferde untergebracht. Lediglich einige Junker und ihre Bedienten schliefen in der Nähe ihrer Lehnsherren.
Offensichtlich wurde die riesige Burg, deren Lage keinen strategischen Wert für welche Obrigkeit auch immer hatte
- sei es die der Mailänder, der Deutschen, der Franzosen oder die der
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