Vittorio
Schwäche und Angst vor der Hölle, die sie vielleicht erwartet, wenn sie ihr Leben hingeben müssen.«
Der Mönch starrte seinen Vater nicht weniger verwundert an als ich. Ursula sagte nichts, sie küsste mich nur auf die Wange und flüsterte: »Wir wollen sie allein lassen.
Santa Maddalana ist tot. Lass uns gehen.«
Ich ließ meinen Blick durch den dämmrigen Schankraum schweifen. Ich sah die alten Fässer und sonstige Gegenstände, die von Menschen benutzt und berührt wurden, und ihr Anblick erzeugte in mir schmerzlichste Verwirrung und schrecklichen Kummer. Ich betrachtete die mächtigen Hände des Priesters, die er vor sich auf dem Tisch gefaltet hatte, sah die Haare auf dem Handrücken und lenkte dann den Blick auf seine vollen Lippen und seine großen, feuchten, bekümmerten Augen.
»Werdet Ihr diese Gabe von mir annehmen?«, flüsterte ich. »Dieses geheime Wissen um die Engel? Ihr seht mit eigenen Augen, was ich für ein Wesen bin, und deshalb müsst Ihr doch auch wissen, wovon ich spreche. Ich sah ihre Schwingen, sah den Glanz, der ihr Haupt umgab, sah ihr leuchtendes Antlitz, und ich sah das Schwert des mächtigen Mastema. Sie haben mir geholfen, in die Burg einzudringen und alle Dämonen zu vernichten, außer diesem einen hier, dieser Kindsbraut, die mein ist.«
»Kindsbraut«, flüsterte Ursula entzückt. Sie sah mich ge-dankenversunken an, dabei summte sie eine alte Melodie, ein Stück aus einem der Lieder, die sie von früher kannte.
Dann flüsterte sie mit drängender Stimme, während sie meinen Arm drückte: »Komm, Vittorio, lass diese Männer in Frieden. Komm mit mir, und ich erzähle dir, dass ich wirklich eine Kindsbraut war und wie es dazu kam.« Sie sah den Klosterbruder mit neu entfachter Lebhaftigkeit an. »Wisst Ihr, ich war wirklich eine Braut. Sie kamen zur Burg meines Vaters und forderten mich von ihm als Braut. Sie sagten, dass ich Jungfrau sein müsste, und dann kamen die weisen Frauen; sie brachten ein Becken mit warmem Wasser und untersuchten mich und bestä-
tigten, dass ich jungfräulich war, und erst dann nahm Florian mich mit. Ich sollte seine Braut sein.«
Der Priester schaute sie wie erstarrt an, als könnte er sich beim besten Willen nicht rühren. Der Alte allerdings schaute nur von Zeit zu Zeit fröhlich auf und nickte zu ihren Worten, während er mit seinen Karten beschäftigt war.
»Könnt Ihr Euch mein Entsetzen vorstellen?«, fragte sie.
Sie schaute mich an und warf die Haare über die Schultern zurück. Es fiel in reichen Wellen, weil es geflochten gewesen war. »Könnt Ihr Euch meine Gefühle vorstellen, als ich das weiche Lager erklomm und sah, wer mein Bräutigam war - als ich dieses weiße, tote Etwas sah?
Denn so seht Ihr uns doch!«
Der Priester antwortete nicht. Aber seine Augen füllten sich langsam mit Tränen. Tränen! Was für ein hübsches Bild, so menschlich waren sie, diese kristallklaren, unblutigen Tränen, und ein edler Schmuck für sein altes, mildes Gesicht mit den schlaffen Wangen und dem fleischi-gen Mund.
»Und dann diese verfallene Kapelle, in die ich gebracht wurde!«, sagte sie. »Ein heruntergekommener Ort voller Spinnen und Ungeziefer; und dort, vor dem entweihten Altar, wurde ich entkleidet und niedergelegt, und dann nahm er mich und machte mich zu seiner Gemahlin.«
Sie löste sich von meinem Arm und deutete mit einer Geste eine Umarmung an. »Oh, ich hatte einen Schleier, einen langen, wunderschönen Schleier, und ein Kleid aus feinster blumenbestickter Seide, und er zog mir all das aus und nahm mich, zuerst mit seinem leblosen, un-fruchtbaren, steinharten Glied und anschließend mit seinen Fangzähnen - Zähnen, wie ich sie nun auch habe.
Ach, was war das für eine Vermählung! Und mein Vater hatte mich ihm dafür überlassen!«
Dem Priester lief ein Tränenstrom über die Wangen.
Ich aber schaute sie nur an, Gram und Wut hielten mich in ihrem Bann, Wut dem Dämon gegenüber, den ich schon längst abgeschlachtet hatte. Meine Wut war so groß, dass ich hoffte, sie würde ihn noch im glimmenden Höllenfeuer erreichen und ihn mit glühend heißen Zan-gen zwicken.
Sagen konnte ich nichts.
Ursula hob die Brauen und legte den Kopf schräg.
»Er wurde meiner müde«, fuhr sie fort. »Aber nie hat er aufgehört, mich zu lieben. Er war damals neu am Hofe vom Blutroten Gral, ein junger Fürst, der ständig nach mehr Macht und weiteren Liebesabenteuern strebte! Und dann, viel später, als ich ihn um Vittorios Leben bat, konnte er
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