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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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und den sanft geneigten Schultern, ich wusste jedenfalls nichts darüber. Möglicherweise würde sogar sie selbst zurückkommen, um die Schmach zu rächen, die ich ihr angetan hatte.
    Ich musste unseren Berg verlassen.
    Dass diese Wesen im Moment nicht in der Nähe waren, wusste ich instinktiv, mein Gefühl sagte es mir und die Tatsache, dass die herrliche Sonne mit ihrer Wärme etwas Natürliches, Gesundes war - ich hatte die Flucht dieser Geschöpfe beobachtet, hatte ihre Pfeiftöne und die ominösen Worte des Dämons gehört, mit denen er dem Mädchen, Ursula, bedeutet hatte, sich zu beeilen.
    Nein, sie waren nicht mehr hier, das waren Wesen der Nacht.
    Also hatte ich Zeit, den höchsten Turm der Festung zu erklimmen und mich umzuschauen. Das tat ich. Ich fand bestätigt, dass es ringsum keinen Menschen mehr gab, der den Rauch gesehen haben könnte, als unser Mobiliar und die hölzernen Fußböden, von denen es sowieso nur wenige gegeben hatte, in Flammen aufgingen. Die benachbarte Burg war eine Ruine, das habe ich ja schon er-wähnt. Und die am unteren Berghang liegenden Dörfer waren schon von ihren Bewohnern verlassen gewesen.
    Die nächste größere Siedlung war einen Tagesmarsch entfernt, und wenn ich bei Einbruch der Nacht in einem sicheren Versteck sein wollte, musste ich mich auf den Weg machen.
    Tausend Gedanken quälten mich. Ich wusste etwas zu viel! Ich war noch ein Jüngling! Man rechnete mich noch nicht zu den Männern! Ich hatte Reichtümer in den Bank-häusern in Florenz, aber dahin brauchte ich selbst zu Pferde eine Woche! Diese Wesen waren Dämonen, böse Geister! Dennoch hatten sie eine Kirche betreten können.
    Und hatten Fra' Diamonte niedergemacht.
    Schließlich beherrschte mich nur ein Gedanke. Vendetta!
    Rache! Ich würde sie kriegen! Ich würde sie finden und sie erledigen. Und wenn sie nicht bei Tageslicht hervor-kommen konnten, dann würde ich diese Tatsache nutzen, um sie zu erwischen! Ich würde Rache üben! Für Bartola. Für Matteo, für meinen Vater und meine Mutter, für das Kind niedrigster Herkunft, das sie von meinem Berg entführt hatten.
    Und sie hatten die Kinder mitgenommen! Ja, in der Tat.
    Ich versicherte mich dessen, ehe ich fortging. In Anbe-tracht der Dinge, die mir im Kopf herumschwirrten, dauerte es zwar eine Weile, bis mir das klar wurde, aber schließlich sah ich es. Nicht eine Kinderleiche gab es hier, nur Jungen meines Alters waren getötet worden, aber alle Jüngeren hatten sie geraubt. Wozu? Welchen Schrecknissen sollten sie ausgesetzt werden? Ich war außer mir.
    Ich hätte wahrscheinlich noch lange am Turmfenster gestanden, mit geballten Fäusten und von Zorn und Racheschwüren verzehrt, wenn mich nicht ein angenehmer Anblick abgelenkt hätte. In dem Dorf, das der Burg am nächsten war, sah ich drei meiner Pferde ziellos umherziehen, als warteten sie darauf, heimgeholt zu werden.
    Wenigstens eines meiner besten Rosse sollte ich haben, denn ich musste mich eilends auf den Weg machen. Mit einem Pferd würde ich vielleicht gerade noch vor Nacht-einbruch eine Stadt erreichen können. Ich kannte das Gebiet nördlich von uns nicht, es war noch gebirgig, aber ich hatte von einer relativ großen, recht nahe gelegenen Stadt gehört. Dahin musste ich, weil ich einen Unterschlupf brauchte, weil ich nachdenken musste und weil ich mich mit einem Priester besprechen musste, der Grütze im Kopf hatte und sich mit bösen Geistern auskannte.
    Meine letzte Aufgabe war schändlich, und ich fand sie widerwärtig, aber sie musste getan werden. Ich sammelte alles an Wertsachen ein, was ich tragen konnte. Das hieß, dass ich zuerst mein eigenes Zimmer aufsuchte, und als wäre es ein ganz normaler Tag, zog ich meinen besten dunkelgrünen Anzug aus Samt und Seide an und streifte mir die hohen Stiefel und die Handschuhe über.
    Dann nahm ich die ledernen Satteltaschen und ging hinab in die Krypta unter der Kapelle, wo ich meinen Eltern und Verwandten ihre geliebten Ringe und Ketten und Broschen abnahm, samt den goldenen und silbernen Schnallen, die aus dem Heiligen Land stammten. Gott stehe mir bei!
    Und als wäre ich ein Dieb, füllte ich dann meine Börse mit allen Golddukaten und Florinen, die in den Schatullen meines Vaters zu finden waren. Ein Leichenfledderer, so kam ich mir vor! Und dann warf ich mir die schweren Le-derbeutel über die Schulter und ging zu meinem Pferd, sattelte und zäumte es und machte mich auf in die Wälder, ganz und gar wie ein Mann von Rang, mit den

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