Vittorio
konnte. Eine große Stadt. Ich sah vier massige Türme, die sich dicht um die Tore drängten, die offensichtlich den Haupteingang bildeten, außerdem mehrere Kirchtürme.
Ich hatte gehofft, noch vor dieser Stadt auf einen Ort zu treffen, der etwas kleiner und nicht so streng befestigt wäre. Aber mir fiel nicht ein Name ein, und ich hatte mich auch zu sehr verirrt, um weitersuchen zu können. Die Nachmittagssonne schien zwar noch hell, neigte sich aber schon. Ich musste nach Santa Maddalana. Als ich den Fuß des Berges erreicht hatte, auf dessen Gipfel die Stadt erbaut war, nahm ich die schmalen Pfade, die die Schäfer benutzten. Das Licht verblasste zusehends. Der Wald war zu dicht, als dass er nahe dieser von Mauern umgebenen Stadt noch sicher gewesen wäre. Ich verfluchte die Stadtbewohner, weil sie den Berggipfel nicht von Bäumen freigehalten hatten, aber immerhin gewährte mir das eine gewisse Deckung. Während die Dämmerung niedersank, glaubte ich zeitweise nicht mehr daran, den Gipfel noch erreichen zu können; Sterne stiegen an einem bereits saphirblau glänzenden Himmel auf, doch das ließ die ehrwürdige Stadt in ihrer Größe nur noch unerreichbarer erscheinen. Schließlich legte sich die mit-leidlose Nacht endgültig über die kräftigen Stämme der Bäume, und ich musste mir mühsam den Weg bahnen, indem ich mich mehr auf die Instinkte meines Pferdes verließ als auf meine zunehmend schlechter werdende Sicht. Ein bleicher Halbmond schien sich mit den Wolken zu vermählen, und der Himmel war wegen des dichten Blätterdaches über mir nur stückweise zu sehen. Ich er-tappte mich dabei, dass ich meinen Vater anflehte, als hielte er, zusammen mit meinen Schutzengeln, schützend die Hand über mich, und ich glaube, ich vertraute auf ihn und seine Gegenwart fester als ich je Engeln vertraut hatte, denn ich sagte: »Bitte, Vater, hilf mir, die Stadt zu erreichen. Hilf mir, dass ich in Sicherheit bin, damit diese bösen Geister mich nicht an meiner Rache hindern.« Fest hielt ich mein Schwert umklammert. Ich rief mir in Erinnerung, dass ich Dolche in den Stiefel-schäften, im Ärmel und im Gürtel trug. Ich strengte mich an, trotz des spärlichen Lichtes, das der Himmel hergab, etwas zu sehen, und musste darauf vertrauen, dass mein Pferd den Weg zwischen den dicken Baumstämmen fand. Hin und wieder hielt ich stocksteif inne. Aber ich hörte nichts Ungewöhnliches. Wer sonst wäre so dumm, bei Nacht in diesem Wald unterwegs zu sein? Endlich, schon fast am Ende der Strecke, stieß ich wieder auf die Hauptstraße, der Wald lichtete sich und machte ebenen Feldern und Wiesen Platz, und die letzten Kehren der kurvigen Straße legte ich im Galopp zurück.
Dann ragte die Stadt direkt vor mir auf, wie es eben geschieht, wenn man nach einer letzten Wegbiegung unmittelbar vor den Stadttoren steht - man glaubt, jemand hätte einen am Fuß eines Zauberschlosses abgesetzt.
Ich stieß ein Dankgebet aus, obwohl die mächtigen Stadttore so fest verschlossen waren, als lagerte eine feindliche Armee davor.
Dies musste mein sicherer Hort sein.
Natürlich wollte der Wächter, ein schläfriger Soldat, der sich von oben mit dröhnender Stimme bemerkbar machte, meinen Namen wissen.
Dass ich nun gezwungen war, mir krampfhaft etwas Vernünftiges auszudenken, lenkte mich von den Bildern ab, die, kaum in Schach zu halten, in meinem Kopfe spukten: von meiner üblen Feindin Ursula und ihrem abgetrennten Arm und von meinen enthaupteten Geschwistern, wie sie, die sich gerade noch bewegt hatten, auf den Boden der Kapelle sanken.
Ich rief ihm in bescheidenem Ton, jedoch mit pompösen Worten zu, dass ich ein Gelehrter in den Diensten Cosimo de' Medicis wäre, hergekommen, um mich in Santa Maddalana nach Büchern umzusehen, speziell nach alten frommen Büchern, die von Heiligen und von Erscheinungen der Heiligen Jungfrau, besonders hier in dieser Gegend, handelten.
So ein Unsinn!
Ich erklärte, dass ich die Kirchen und Lehranstalten besuchen wolle und auch alte Lehrer, die wohl im Schutze dieser Mauern leben mochten; und was ich gegen gute Münze erwerben könne, würde ich meinem Herrn in Florenz überbringen.
»Ja, aber wie ist Euer Name, wie heißt Ihr?«, drängte der Soldat, während er das kleine untere Tor einen Spaltbreit öffnete, wobei er die Laterne hoch hielt, um mich in Au-genschein zu nehmen. Ich wusste, dass ich auf dem Ross ein gutes Bild abgab.
»De' Bardi«, verkündete ich. »Antonio de' Bardi, Verwandter von
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