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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sage!«
    Ich gehorchte auf der Stelle, packte Matteo und Bartola und schob sie vor mir her die steinernen Stufen hinunter.

    Die Onkel waren, ihre alten Schlachtschreie auf den Lippen, durch die Tür der Kapelle in den Burghof gestürzt, und die Tanten taumelten - einer Ohnmacht nahe, klammerten sie sich an den Altar und wollten sich nicht vom Fleck rühren, während meine Mutter sich an meinen Vater hängte. Der war in wilde Raserei verfallen. Ich packte die älteste der Tanten, doch sie war wie in einer Todesstarre, und mein Vater kam mit donnernden Schritten zu mir zurück, drängte mich gewaltsam in das Gewölbe und schloss die Tür.
    Mir blieb nichts anderes übrig, ich verriegelte die Falltür, wie er es mir gezeigt hatte, und wandte mich mit der flackernden Kerze in der Hand meinen verängstigten Geschwistern zu.
    »Geht ganz nach hinten durch«, rief ich, »geht ganz nach unten!«
    Sie fielen beinahe hin, als sie versuchten, sich rückwärts über die steilen engen Stiegen zu schieben, während sie mich die ganze Zeit über nicht aus den Augen ließen; aber es war auch wirklich nicht einfach, dort hinunter zu klettern.
    »Was ist denn, Vittorio, warum wollen sie uns etwas antun?« fragte Bartola. »Ich will gegen sie kämpfen«, sagte Matteo. »Vittorio, gib mir einen Dolch. Du hast ein Schwert. Das ist ungerecht.«
    »Schsch, seid still, tut, was der Vater gesagt hat. Denkt ihr etwa, mir gefällt es, dass ich nicht draußen bei den Männern sein kann? Still!«
    Ich schluckte die Tränen herunter. Meine Mutter war da oben und die Tanten!
    Die Luft war feucht und kalt, doch das tat mir gut. Ich brach in Schweiß aus, und mein Arm schmerzte vom Tragen des schweren, goldenen Leuchters. Schließlich sanken wir drei aneinander gedrängt am hinteren Ende des Gewölbes nieder, und es beruhigte mich irgendwie, die kalten Steine zu spüren.
    Aber während wir gemeinsam schwiegen, hörten wir trotz der dicken Decke immer wieder Geheul, schreckliche, von Angst und Panik zeugende Schreie und Getrappel eilender Füße, ja sogar das hohe, schrille Wiehern von Pferden. Es klang, als wären über unseren Köpfen Pferde mitten in die Kapelle galoppiert, was nicht völlig un-möglich war.
    Ich sprang auf und hastete zu den beiden anderen Pfor-ten des Gewölbes, die zu den Grabkammern führten oder was sich sonst dahinter verbergen mochte - es war mir egal! Ich öffnete den Riegel einer der Türen und konnte nur einen niedrigen Gang sehen, nicht einmal hoch genug für mich und kaum breit genug für meine Schultern.
    Mit der einzigen Kerze in der Hand, die wir hatten, ging ich zurück und sah, dass der Blick der Kinder an der Decke haftete, durch die noch immer das mörderische Geschrei tönte; sie waren erstarrt vor Furcht.
    »Ich rieche Feuer«, flüsterte Bartola auf einmal, und im Nu war ihr Gesicht nass von Tränen. »Riechst du es, Vittorio? Ich kann es sogar hören.«
    In der Tat, ich hörte und roch es auch. »Bekreuzigt euch, ihr beide; betet nun und vertraut mir«, sagte ich, »wir werden von hier entkommen.«
    Doch der Schlachtenlärm setzte sich fort, die Schreie hörten nicht auf. Dann, plötzlich, senkte sich Stille herab, so plötzlich, dass es ebenso seltsam und erschreckend war wie der Lärm zuvor.
    Stille, die zu vollständig war, um von Sieg zu künden.
    Bartola und Matteo hatten sich rechts und links an mich geklammert. Über uns ertönte Geklapper. Die Türen der Kapelle wurden aufgestoßen, und dann wurde jäh die Falltür aufgerissen. Im Schimmer des Feuers, das oben wütete, sah ich eine dunkle, schlanke Gestalt mit langen Haaren. Der Luftzug löschte meine Kerze aus. Nur das höllengleiche Flackern drang von oben herab, ansonsten waren wir gnadenlos der Dunkelheit ausgesetzt. Wieder sah ich ganz deutlich die Umrisse der Gestalt; eine hoch gewachsene, königliche Frau mit langen, dichten Locken und einer Taille, die so schmal war, dass ich sie mit meinen beiden Händen hätte umfassen können, schien ge-räuschlos die Stufen hinab- und mir entgegenzuschwe-ben.
    Wie, in Himmels Namen, war das möglich, das hier, diese Frau?
    Ehe mir auch nur in den Sinn kam, mein Schwert gegen einen weiblichen Angreifer zu heben, oder ich mir auch nur einen Reim auf das Ganze machen konnte, fühlte ich ihren weichen Busen und ihre kühle Haut an meiner Brust, als sie ihre Arme um mich zu schlingen schien. Als mir der Duft ihrer Haare und ihrer Kleider in die Nase stieg, überkam mich ein Augenblick unerklärlicher, seltsam

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