Vittorio
und an Ursulas weiche Brüste.
Ich schüttelte mich von oben bis unten. »Bluttrinker! Blutroter Gral! Das macht ihr also mit ihnen, mit denen, die ihr mitnehmt? Ihr trinkt ihr Blut?«
Der Alte schaute Ursula bedeutungsvoll an. »Was ver-langst du da von mir, Ursula?«, fragte er sie. »Wie kann ich hier eine Entscheidung treffen?«
»Ach, Godric, er ist tapfer und edel und stark«, sagte sie.
»Godric, wenn du nur zustimmst, wird sich niemand da-gegenwenden. Niemand wird deine Entscheidung in Frage stellen. Bitte, Godric, ich bitte dich. Wann hätte ich je etwas erbeten -?«
»Was erbeten?«, verlangte ich zu wissen, während ich meinen Blick von ihrem eifrigen, tieftraurigen Gesicht zu dem des Alten wandern ließ. »Mein Leben? Darum bittest du? Töte mich besser!«
Dem Alten war das bewusst. Ich brauchte es nicht zu sagen. Es gab keine Möglichkeit, mir an diesem Scheide-weg Gnade zu schenken. Ich würde mich nur erneut auf sie alle stürzen und versuchen, einen nach dem anderen zu erledigen.
Plötzlich, wie von Ärger und Ungeduld ergriffen, erhob sich diese gebrechliche Gestalt mit erstaunlicher Gelen-kigkeit und packte mich am Kragen, als sie in einem Wirbel roter Gewänder an mir vorbeifegte; dann zerrte sie mich, als wäre ich ein Federgewicht, durch den Bogen-gang bis zum Rand der steinernen Brüstung.
»Schau, da unten, der Hofstaat«, sagte Godric.
Die Halle dort unten war riesig. Die Balustrade, auf der wir standen, zog sich um den ganzen Saal, und darunter gab es kaum einen Fußbreit bloßen Steines, so reich be-hängt waren die Wände mit goldfarbenen und bur-gunderroten Draperien. Um die lange Tafel dieses Saales saßen Damen und Herren nebeneinander, alle im vorge-schriebenen Burgunderrot, der Farbe des Blutes - nicht der des Weines, wie ich gedacht hatte, und vor ihnen glänzte das blanke Holz der Tischplatte. Nicht ein Teller mit Speisen noch auch nur ein Becher mit Wein war zu sehen, doch alle waren zufrieden und schauten plau-dernd und heiteren Blickes den Tänzern zu, die die große Halle bevölkerten, wo sie auf dicken Teppichen mit geschickten Schritten ihre Tänze ausführten, als genössen sie das samtige Polster unter ihren weich beschuhten Fü-
ßen.
Die Gestalten, die sich zu dem hämmernden Takt der Musik bewegten, bildeten arabeskengleiche, ineinander verschlungene Kreise. Ihre Gewänder waren im Stil der unterschiedlichsten Nationen gehalten, von französischem Chic bis hin zur neuen Florentiner Mode, und überall sah man heitere Runden rot gefärbter Seide oder rot geblümte Flächen oder ein Muster, das ich, wenn ich es auch nicht genau erkennen konnte, für Sterne oder Halbmonde hielt.
Es war ein feierliches, wenn auch quälendes Bild, sie alle in dieser gleichen kräftigen Farbe gekleidet zu sehen, die sich irgendwo zwischen dem eklig schauderhaften Rot von Blut und dem blendenden Glanz von Scharlachrot bewegte.
Mir fielen die Unmengen von Leuchtern und Kerzenhal-tern und Fackeln auf. Wie einfach es doch wäre, die Wandteppiche in Brand zu setzen. Ich fragte mich, ob diese Wesen brennen würden, so wie Hexen und Ketzer brannten.
Ich hörte ein scharfes Keuchen von Ursula. »Vittorio, sei klug!«, flüsterte sie.
Auf dieses Flüstern hin sah der Mann in der Mitte der langen Tafel zu mir auf, der den Platz in dem hochlehni-gen Ehrensitz einnahm - den Platz, der in unserem Hause meinem Vater zugekommen wäre. Er hatte blondes Haar, so blond wie das der zerzausten Kreatur, die ich enthauptet hatte, doch diesem hier fielen die langen Lok-ken gepflegt und seidig auf die breiten Schultern. Sein Gesicht trug jugendliche Züge, viel jünger als die meines Vaters, doch um einiges älter als die meinen, und war genauso unmenschlich bleich wie das der anderen Anwesenden. Seine durchdringenden blauen Augen fixierten mich. Dann wandte er sich wieder der Betrach-tung des Tanzes zu.
Das ganze Schauspiel schien im Rhythmus mit dem hei-
ßen, rauchigen Auf und Ab der Flammen zu vibrieren, von dem meine Augen tränten, doch mit Schrecken bemerkte ich, dass die kleinen Figuren, die in die Wandbehänge gewebt waren, nicht die stummen Damen und die Einhörner darstellten, wie ich sie auf den Gobelins in dem kleinen Studierzimmer gesehen hatte, aus dem wir gekommen waren. Nein, hier waren es Teufel, die in der Hölle tanzten. Und darunter wahrhaft scheußliche, groteske Wesen grobschlächtiger und brutaler Natur, die rings um den unteren Rand der Empore, auf der wir standen, in den Stein
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