Vittorio
gesehen und bei unseren schlimmsten Taten. Nein, vielleicht doch nicht wirklich in unserem höchsten, vollen Glanze.«
»Oh«, sagte ich, »und das kann ich kaum erwarten, edler Herr, denn ich liebe euch alle so sehr und auch die Art, wie ihr Menschen abschlachtet, und dann gibt es da na-türlich noch diese Stadt da unten, die ihr ins Verderben stürztet und selbst die Seelen der Priester verführt habt.«
»Schscht, du wirst dich noch in ein tödliches Fieber hin-einsteigern«, sagte der Burgherr. »Dein Duft füllt mir die Nase wie ein überkochender Topf. Ich könnte dich verschlingen, Kind, könnte dich zerteilen und die noch pul-sierenden Stücke hier an der Tafel verteilen, damit man sie aussaugen kann, solange das Blut noch schön warm ist und deine Augen noch blinzeln.«
Bei diesen Worten glaubte ich verrückt zu werden. Ich dachte an meine toten Geschwister, an den grauenvol-len, unmöglich sanften Ausdruck, den die abgetrennten Köpfe gezeigt hatten. Ich konnte das nicht ertragen. Ich schloss die Augen ganz fest. Ich suchte in meinem Innern nach einem Bild, das diese Schrecken bannen wür-de. Und in meiner Erinnerung fand ich das Gemälde des Fra' Filippo Lippi, das den Engel Gabriel vor der Jungfrau Maria auf Knien liegend zeigt; ja, Engel, ihr Engel, schmiegt eure Flügel um mich, jetzt, oh Gott, sende mir Deine Engel!
»Ich verfluche Euren verdammten Hof, Ihr Süßholz ras-pelnder Teufel!«, schrie ich. »Wie konnte es geschehen, dass Ihr Euren Fuß in dieses Land setztet! Wie ist es da-zu gekommen?« Ich riss die Augen auf, doch ich sah nichts als die Engel Fra' Filippos, die mir in der Erinnerung an seine Werke wild entgegenpurzelten und ein bunt gemischtes Schauspiel darboten, sah strahlende Geschöpfe, in denen sich der warme fleischliche Atem der Erde mit dem Hauch des Himmels mischte. »Ist er zur Hölle gefahren?« Ich schrie noch lauter. »Der, dem ich den Kopf abgeschlagen habe? Brennt er schon?«
Wenn Stille anschwellen und in sich zusammenfallen kann, dann geschah nun genau das mit der Stille in dieser großen Halle, diesem Saal. Ich hörte nichts als mein ängstliches Atmen.
Aber der Burgherr blieb ungerührt.
»Ursula«, sagte er, »man könnte es in Erwägung ziehen.«
»Nein!«, schrie ich. »Niemals! Mich euch anschließen?
Einer von euch werden?«
Die Hand des Alten hielt mich mit einem Klammergriff im Nacken. Wenn ich dagegen ankämpfte, machte ich mich nur zum Narren. Er brauchte nur noch etwas fester zuzu-packen, und ich wäre tot. Und das wäre vielleicht das Beste. Allerdings hatte ich noch etwas zu sagen:
»Ich will das nicht, niemals. Wie kommt Ihr darauf, dass meine Seele so leicht zu haben ist und Ihr nur danach fragen müsst?«
»Deine Seele?«, fragte der Fürst. »Wie ist deine Seele beschaffen, dass sie es vorzieht, einige kurze Jahre zu genießen, anstatt eine Reise unter den unergründlichen Sternen durch die Jahrhunderte anzutreten? Was ist das für eine Seele, die nicht lieber auf ewig nach der Wahrheit suchen will, sondern nur während der paar armseli-gen Jahre eines gewöhnlichen Lebens?«
Sehr langsam, unter dem gedämpften Rascheln seiner Gewänder, erhob er sich, und nun erst sah man den langen, weiten Mantel, dessen Saum niedersank und hinter ihm einen großen blutfarbenen Schäften bildete. Er senkte ganz leicht den Kopf; durch den Schein der Lampen wirkte sein Haar wie von schwerem Gold überzogen, und seine blauen Augen wurden sanfter.
»Wir waren schon vor dir und deinem Klan hier«, sagte er. Seine Stimme hielt ihren förmlichen Tonfall. Er selbst blieb höflich und vornehm. »Jahrhunderte bevor ihr in diese Berge zogt, waren wir schon hier. Alle Berge ringsum gehörten damals uns. Ihr, ihr seid die Eindringlinge.«
Er unterbrach sich und richtete sich auf. »Deinesgleichen drängen sich näher und näher, bauen Bauernhöfe und Dörfer und Feshangen und Burgen, dringen immer weiter zu uns vor in die Wälder, die uns gehören, so dass wir nun Schläue walten lassen müssen, wo wir früher einfach flink waren, und wir heute gesehen werden, obwohl wir doch wie der sprichwörtliche ›Dieb in der Nacht‹ auftreten sollten.«
»Warum habt ihr meinen Vater und meine Familie getö-
tet?«, verlangte ich zu wissen. Ich konnte einfach nicht mehr schweigen, mich kümmerte nicht, wie verführerisch seine Redegewandtheit war, seine leise geschnurrten Worte, sein wie von einem Zauber überzogenes Gesicht.
»Dein Vater und dessen Vater und der Burgherr
Weitere Kostenlose Bücher