Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
gemeißelt waren. Auch an den Kapitellen der sich verzweigenden Säulen, die die Decke trugen, sah man weitere dieser dämonischen, mit Schwingen versehenen Wesen.
    Bösartige Grimassen zierten die Wand hinter mir und auch die gegenüber. Auf einem der im unteren Teil hängenden Gobelins türmten sich die Höllenkreise Dantes einer über dem anderen.
    Ich konnte meinen Blick nicht von der nackten, glänzenden Tafel wenden. Mir war schwindelig. Gleich würde mir übel werden, ich würde das Bewusstsein verlieren.
    »Dich zu einem Mitglied dieses Hofstaates zu machen, das ist Ursulas Verlangen«, sagte der Alte, indem er mich hart gegen die Brüstung drückte; er ließ mich nicht los, ließ nicht zu, dass ich mich abwandte. Seine Stimme war bedächtig und leise und verriet nicht die mindeste Wer-tung der Angelegenheit.
    »Sie möchte, dass wir dich in unseren Hofstaat aufnehmen, als Dank für die Tatsache, dass du einen der Unseren erschlagen hast. Das ist ihre Logik.«
    Der Blick, den er mir zuwandte, war nachdenklich, kühl.
    Seine Hand an meinem Kragen war nicht grausam oder grob, sondern einfach da.
    Während halb gestammelte Worte und Flüche aus mir hervorbrachen, merkte ich plötzlich, dass ich fiel. Immer noch fest im Griff des Alten, war ich über die Brüstung gefallen und in Sekundenschnelle auf den dicken Teppichen gelandet, wo ich auf die Füße gezerrt wurde, während die Tänzer rechts und links von uns auswichen.
    Wir standen vor dem hohen Herrn auf dem Ehrensitz, und ich sah, dass die ins Holz geschnitzten Figuren - wie konnte es anders sein - Tieren ähnelten, katzenartigen, satanischen.
    Der Stuhl bestand ganz aus schwarzem Holz und war so stark poliert, dass man das Öl riechen konnte, dessen Duft sich lieblich mit dem der vielen Lampen mischte. Die Fackeln knisterten leise.
    Die Musikanten hatten aufgehört zu spielen, ich hatte sie bisher nicht einmal gesehen. Und als ich die kleine Kapelle endlich entdeckte - noch weiter oben auf einem eigenen kleinen Balkon -, da stellte ich fest, dass auch sie diese porzellanweiße Haut und die tödlichen, katzengleichen Augen hatten. Alle waren Männer, schlank, einfach gekleidet und anscheinend etwas ängstlich.
    Ich starrte den Schlossherrn an. Er hatte sich nicht ge-rührt, nicht gesprochen. Er war eine edle, königliche Erscheinung, sein dichtes, volles blöndliches Haar war aus der Stirn zurückgekämmt und fiel, wie ich zuvor schon bemerkt hatte, in sorgfältig frisierten Locken auf seine Schultern. Auch sein Gewand kündete von einer längst vergangenen Mode, er trug eine lange, weite Tunika, nicht wie die der Soldaten, sondern etwas, das fast an eine Robe erinnerte, eingefasst mit passendem dunkel gefärbtem Pelz. Darunter schauten wunderbare, ballon-artig weite Ärmel hervor, die bauschig bis über die Ellenbogen fielen und sich dann eng um seine schlanken Un-terarme und Handgelenke schmiegten. Eine mächtige, aus Medaillen gefügte Kette hing um seinen Hals, und jede der aus schwerem, ziseliertem Gold gefertigten runden Scheiben war mit einem ovalen Edelstein besetzt, einem Rubin, rot wie seine Kleider.

    Eine schlanke, bloße Hand lag locker geschlossen auf dem Tisch, ganz unprätentiös. Die andere konnte ich nicht sehen. Er schaute mich aus blauen Augen an. Diese Hand, die so kultiviert und sauber war, hatte etwas Puritanisches, Gelehrtenhaftes an sich.
    Quer über die dicke Lage Teppiche eilte Ursula heran und hielt dabei ihre Röcke mit ihren zierlichen Händen gerafft. »Florian«, sagte sie, wobei sie eine tiefe Verneigung vor dem Burgherrn machte. »Florian, ich bitte dich um diesen hier, wegen seines Charakters und seiner Seelenstärke, nimm ihn um meinetwillen in unseren Hofstaat auf, um meines Herzens willen. Um nichts als das bitte ich.«
    Obwohl ihre Stimme ängstlich bebte, klang sie vernünftig.
    »Diesem Hofstaat? Hier, diesem Hofstaat soll ich angehören?«, wollte ich wissen. Ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg. Ich ließ meinen Blick nach rechts und links wandern. Ich starrte sie an, die weißen Gesichter, die dunklen Münder, die vielfach die Farbe frischer Wunden trugen. Ich sah die bleichen, farblosen Mienen, mit denen sie mich begutachteten. Waren diese Augen wirklich von dämonischem Feuer erfüllt, oder lag es einfach daran, dass jeder andere Hinweis von Menschlichkeit aus ihrem Gesichtsausdruck verschwunden war?
    Als ich den Blick senkte, sah ich auf meine eigenen Hän-de, sah die geballten Fäuste, so rosig und

Weitere Kostenlose Bücher