Viva Espana
eine Schlange, und diese Schlange war Ruys Mutter gewesen.
Die Frau hatte Davina so sehr gehasst, dass sie ihr eines Tages die ganze Wahrheit brutal und schonungslos an den Kopf geworfen hatte.
Und jetzt wollte Ruy seinen Sohn sehen, den einzigen, den er jemals haben würde, wie in dem Brief gestanden hatte. Jamie sei der Erbe des riesigen Vermögens, sein Platz sei bei seinem Vater, damit er früh genug lerne, mit der großen Verantwortung umzugehen, hatte es geheißen. Davina war klar, dass Ruy Recht hatte. Sie konnte sich jedoch nicht erklären, warum er die Ehe nicht hatte annullieren lassen. Dann hätte er die Frau heiraten können, die er schon immer geliebt hatte und die die Mutter seines Sohns hätte sein sollen.
Man hatte ihr mitgeteilt, sie würde am Flughafen abgeholt. Davina bezahlte den Gepäckträger, der ihre Koffer neben ihr abstellte und sie bewundernd betrachtete. Ihre Gesichtszüge waren perfekt und wirkten aristokratisch, ihre Lippen waren schön geschwungen, und ihre Haut war so fein wie edles Porzellan. Die großen amethystfarbenen Augen wurden von dichten, langen Wimpern umrahmt.
Ruy hatte behauptet, sie sei die schönste Frau, die er jemals kennen gelernt habe. Aber er hatte es nicht ernst gemeint.
„Davina?"
Aus dem großen Mercedes, der vor ihr angehalten hatte, stieg ein junger Mann.
„Sebastian?" Sie blickte ihren Schwager verblüfft an.
„Lass mich den Jungen tragen, er ist sicher zu schwer für dich." So geschickt, wie sie es ihm nicht zugetraut hätte, nahm er Jamie auf den Arm und setzte ihn ins Auto. Vor vier Jahren war Sebastian neunzehn gewesen und hatte Weinbau studiert, um eines Tages die Weingüter der Familie zu leiten. Jetzt, mit dreiundzwanzig, sah er viel reifer und erwachsener aus. Obwohl er seinem Bruder sehr ähnelte, fehlten ihm Ruys Charme und seine geschmeidigen Bewegungen. Ruy war schlank und muskulös, während sich bei Sebastian erste Anzeichen dafür bemerkbar machten, dass er zum Dickwerden neigte.
Sebastian war auch nicht so groß wie Ruy, und seine Züge waren nicht so edel.
Dennoch war er ein attraktiver junger Mann, besonders wenn er seinen Neffen anlächelte.
Doch als er sich an Davina wandte, lächelte er nicht mehr. So kühl, steif und höflich, als wäre sie eine Fremde, half er ihr auf den Rücksitz neben Jamie. Dann stieg er ein und fuhr los.
Davina äußerte ihre Überraschung, dass Ruy sie nicht selbst abholte. Im Rückspiegel blickte Sebastian sie kurz an, und sie erinnerte sich daran, wie sehr er seinen zwölf Jahre älteren Bruder verehrt hatte.
„Er konnte nicht kommen", antwortete Sebastian nur.
Sie war froh, dass sie in Jamie keine zu großen Erwartungen geweckt und nicht damit gerechnet hatte, dass ein Mitglied der Familie sie abholen würde. Sie hatte gedacht, man würde den Chauffeur schicken.
Vor ihrer Heirat mit dem Conde de Silvadores, Ruys Vater, hatte seine Mutter in Südamerika gelebt. Sie war die einzige Tochter eines Großindustriellen und sehr streng erzogen worden. Einen Führerschein hatte sie nicht, deshalb stand ihr immer ein Fahrer zur Verfügung. Davina war es jedoch schwer gefallen, damit zurechtzukommen, sich als Frau eines Adligen nicht frei bewegen zu können. Man hatte ihr nicht erlaubt, ohne Begleitung aus dem Haus zu gehen. Sie hatte sich immer gegen die Einschränkungen gewehrt, die Ruys Mutter ihr hatte auferlegen wollen.
Als sie seufzte, betrachtete Sebastian sie unauffällig. Sie ist sehr schön, diese Frau mit dem silberblonden Haar, die mein Bruder geheiratet hat, dachte er. Sie war sogar noch schöner als damals, denn sie wirkte reifer. Dann warf er einen Blick auf den Jungen.
Meine Mutter wird sich freuen, der Kleine ist ein echter Silvadores, schoss es ihm durch den Kopf.
Davina merkte nichts von den prüfenden Blicken ihres Schwagers. Sie sah hinaus in die Dunkelheit. Die Strecke kannte sie gut. Der Palacio lag zwischen Sevilla und Cordoba. Plötzlich stürzten die Erinnerungen an all das Schöne, das sie hier erlebt hatte, auf sie ein. Um sich von den quälenden Gedanken abzulenken, fing sie ein Gespräch mit Sebastian an.
Er hatte sein Studium beendet und leitete jetzt die Weingüter der Familie, wie er ihr höflich erklärte. Davina fiel das junge Mädchen ein, das seine Mutter schon damals für ihn ausge sucht hatte. Sie erwähnte die junge Frau und erfuhr, dass er mit ihr seit zwei Jahren verheiratet war.
„Aber leider haben wir keine Kinder", fügte er traurig hinzu. „Rosita kann
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