Viviane Élisabeth Fauville
Freiheit ein bisschen ausnutzen. Bis ganz bald, Jean-Paul, und viel Glück für Ihre Stellensuche, Héloïse. Dein aufgeschlitztes Geschenkpaket unterm Arm, gehst du in Richtung Champs-Ãlysées, wo du dich flüchtig für die Weihnachtsdekoration interessierst, bevor du einen Menschenauflauf vor der Louis-Vuitton-Boutique bemerkst. Du gehst näher heran, um zu sehen, was es im Schaufenster Neues gibt. Aber die ausgestellten Gegenstände sind mit dem altgewohnten Apotheken-Siegel versehen, und vielleicht ist es das, was die Passanten überprüfen wollen: dass es noch sichere Werte gibt und der Urmeter immer noch keinen Millimeter zugelegt hat.
In der Tasche deines Regenmantels beginnt das Telefon zu vibrieren. Nach kurzem Zögern fischst du es heraus und liest auf dem ans Tageslicht gezerrten Display den Namen Julien Hermant.
Ich binâs, teilt er unnötigerweise mit.
Das sehe ich wohl, dass du es bist, gibst du zurück, wobei du mit den Ellenbogen die Menschenmenge zurückdrängst.
Wie geht es dir, Viviane?
Schlecht, aber das kannst du dir wohl denken.
Julien räuspert sich, sagt Ich habe mit der Polizei gesprochen.
Ich weiÃ, sie haben es mir erzählt.
Ich habe gesagt, du seist eine wunderbare Person und würdest niemals so etwas tun.
Selbstverständlich würde ich niemals so etwas tun.
Ich habe unterstrichen, was du für eine gute Mutter bist, und wie professionell. Dass du trotz unserer Differenzen weiter mein volles Vertrauen hast.
Das ist gut, Julien, du hast genau das Richtige gesagt.
Jetzt hätte ich gerne, dass du die Katze wieder nimmst.
Es folgt eine kurze Stille. Dann antwortest du Ich habe das Kind genommen, dann kannst du wohl die Katze behalten.
Ich will die Katze nicht, sagt Julien. Ich will meine Tochter jedes zweite Wochenende und während der Ferien.
Du wirst doch nicht damit wieder anfangen.
Wir müssen uns sehen, Viviane, und miteinander reden. So machen das die anderen Leute auch.
Du denkst nach. Du sagst Gut, sehen wir uns am Sonntag. Ich werde zu meiner Mutter gehen, um ein bisschen sauberzumachen, du kannst ja dort hinkommen.
Woanders wäre mir lieber.
Ich habe keine Lust zu diskutieren.
Also gut, antwortet Julien.
12
Was wie ein Haufen verrenkter GliedmaÃen wirkt, ist Tony Boujon, der mich unter seinem zu langen Pony schräg ansieht. Er ist ein junger Mann, dessen Geschichte man sofort erahnt. Elterliche Nachlässigkeit, schlechter Umgang, Verfestigung der natürlichen Fehler der Kindheit durch falsche Einflüsse, das sind die Grundlagen, auf denen sich der Charakter eines kleinen Ganoven entwickelt hat, der keinerlei Sympathie einflöÃt: Im Frühjahr hat Tony mehrere Wochen lang ein junges Mädchen verfolgt, bevor er sich, mit einem Messer bewaffnet, an sie heranmachte, als sie aus ihrem Schulgebäude trat. Doch das Opfer begnügte sich damit, ihn aus runden Augen anzustarren, bis er es mit der Angst bekam und das Messer wegsteckte, sein hitziges Gemüt war abgekühlt, woraufhin das Gericht es bei drei Monaten Gefängnis ohne Bewährung belieÃ, dazu zwei Jahre Bewährung mit Therapieauflage.
Ich habe ihn in der Gare de lâEst um 8 Uhr 31 abgefangen, als er gerade aus dem Vorstadtzug ausstieg, der ihn von der Arbeit heimbrachte. Tony Boujon ist Arbeiter in einer Druckerei in Lagny-Thorigny, er fängt um Mitternacht an und kehrt im Morgengrauen wieder zurück. Im fahlen Licht, das durch das Glasdach des Bahnhofs drang, habe ich sofort seine schmale Silhouette zwischen den Passagieren erkannt. Ich habe mich vor ihm aufgebaut, die Zähne zu einem Lächeln gebleckt und gesagt Du bist Tony Boujon.
Er hat mich angesehen wie ein Karpfen.
Ich habe noch einmal gesagt Du bist Tony Boujon, ich habe dein Foto in der Zeitung gesehen, ich glaube, ich könnte dir helfen.
Mir wobei helfen, hat er entnervt gesagt, ich habe nichts getan, und wer sind Sie überhaupt, ich habe schon mit der Polizei gesprochen.
Ich spendierâ dir einen Kaffee, habe ich vorgeschlagen und ihn sanft in Richtung Ausgang geführt.
Wir haben uns ein ziemlich düsteres Café am Boulevard de Strasbourg ausgesucht. Tony knabbert an seinen tintenbefleckten Fingernägeln, während ich meine polierten und manikürten streichele.
Ich heiÃe Ãlisabeth, sage ich, ohne dass es mir gelänge, seinen Blick aufzurichten. Er gähnt demonstrativ, vertieft sich in das Befingern seiner
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